Halle. Prof. Dr. Jürgen Udolph (71)
gilt als der gefragteste Namenforscher des Landes. Der Onomastiker besetzte bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2008 deutschlandweit den einzigen Lehrstuhl der Namenforschung in Leipzig, und ging - beobachtet von Millionen von Zuschauern - schon bei Kerner im Zweiten Deutschen Fernsehen auf Namenssuche. Nun hat Udolph in seinem Anfang September erscheinenden Buch Die Ortsnamen Hall, Halle, Hallein, Hallstatt und das Salz auch über die Namensgeschichte der Lindenstadt geschrieben. Mit überraschendem Ergebnis. HK-Mitarbeiter Florian Gontek sprach mit dem in Göttingen lebenden Wissenschaftler über die Eigenheiten eines Onomastikers, den Mythos um Halle und das Salz und dem Interesse an einem erläuternden Stadtbesuch.
Herr Prof. Dr. Udolph, Sie gelten als Deutschlands gefragtester Namenforscher. Inwiefern geht man als Onomastiker anders mit Menschen um, und was verrät einem der Name über sein Gegenüber?
PROF. DR. JÜRGEN UDOLPH: Da ist kein ganz großer Unterschied. Wenn der Name allerdings interessant ist, ist man als Namenforscher schon dazu geneigt zu überlegen, wo er herkommen könnte. Wenn man das - wie ich bei Familiennamen - schon 20 Jahre macht, hat man allerdings auch ein gewisses Repertoire. Jeder ist sofort interessiert, insofern eignet sich das Thema zwar als idealer Einstieg, im direkten Umgang mit den Menschen ändert sich allerdings nichts. Da geht es einfach darum, ob man sich gegenseitig sympathisch findet.
Was sagt Ihnen mein Name über den Interviewer?
UDOLPH: Über ihre Person und im Allgemeinen sagt der Name eigentlich gar nichts aus, da wir ja alle einen Familiennamen übernehmen. Wir haben den Nachnamen - anders als bei Vornamen - also nicht aus freien Stücken gewählt. Man orientiert sich bei der Erforschung des Namens nie primär an der Gegenwart, sondern geht immer 400, 500 Jahre zurück, je nachdem, wie alt der Name ist. Der Name Gontek kommt aus dem Slawischen, dem Polnischen. Hat man dieses bestätigt bekommen, kann man über kostenlose Seiten im Internet Verbreitungskarten des Namens erstellen lassen, diese basieren auf älteren Telefonbuch-CDs, sind jedoch absolut zuverlässig und schaffen einen exzellenten Überblick. Dann schaut man sich an, wo der Name früher einmal vorkommt. Ihren Namen finde ich in Polen, Galizien und der Tschechoslowakei. Polnisch »Gont« steht für die Dachschindel, lässt also auf einen Dachdecker schließen. Die genaue Etymologie des Wortes ist aber noch nicht erforscht.
Während ihres sprachwissenschaftlichen Studiums in Göttingen haben Sie Ihre Leidenschaft für die Namenforschung entdeckt. Wo liegt für Sie der Reiz im Namen?
UDOLPH: Im Januar 1970 habe ich mein Studium der Slawistik und Finnougristik in Göttingen aufgenommen. Eigentlich völlig idiotisch, aber heute brauche ich das. Die Namen, die wir in Deutschland haben, kommen aus ganz Ost- und Südosteuropa, daher müssen sie als Namenforscher in Deutschland Slawist sein. Als Magisterarbeit wurde mir dann das Thema »slawische Gewässernamen« angetragen. Gewässernamen sind die ältesten in Europa, das hat mich fasziniert. Mit 57 Jahren bekam ich dann in Leipzig die einzige Professur für Namenforschung, die wir in Deutschland hatten. Inzwischen ist diese - zu meinem Unverständnis - jedoch abgeschafft worden. Nach meiner Emeritierung arbeite ich unter anderem an einem Langzeitprojekt der Göttinger Akademie der Wissenschaften in der Forschung. Dort betreuen wir ein Vorhaben zur Erforschung von Ortsnamen zwischen Rhein und Elbe.
Wie lange recherchieren Sie und Ihr Team für ein Buch dieser Art? Wie sieht der Forschungsprozess eines Onomastikers in der Regel aus?
UDOLPH: Dies wird in Formen von Bänden gemacht. Für Westfalen und Niedersachsen machen wir das in der Regel in Kreisen. In einem ersten Schritt sammelt man - ganz primitiv - alle Ortsnamen auf dieser Karte. Der zweite Schritt, ein ganz zentraler, liegt darin, historische Belege für jeden Ortsnamen zu sammeln. Ohne darf dieser gar nicht erläutert werden. Das ist dann Urkundenarbeit für den Historiker. Im Anschluss wird die Bedeutung des Ortsnamens - seine Entwicklung - diskutiert, da sich auch Sprache und Laute ständig entwickeln. Bei der Erforschung eines Ortsnamens sucht man daher immer auch nach verwandten Ortschaften. Alles in allem braucht ein Mitarbeiter mit kompletter historischer Belegvorlage für einen Band etwa eineinhalb bis zwei Jahre.
Bereisen Sie die Städte, über deren Namen Sie forschen, auch?
UDOLPH: Früher haben wir diese Realproben häufig gemacht. Das ist natürlich hochspannend. Heute nutzen wird anstatt der Prüfung vor Ort die moderne Kartentechnik. Auch wenn ich die Realprobe natürlich empfehle. Zeitlich ist das allerdings nicht immer möglich.
In ihrem Anfang September erscheinenden Buch »Die Ortsnamen Hall, Halle, Hallein, Hallstatt und das Salz« setzen Sie sich mit mehreren Hall-Städten im In- und Ausland auseinander. Warum sollte man sich gerade Literatur darüber kaufen, in dem über den Namen seiner Heimatstadt geschrieben wird?
UDOLPH: Weil dort mit vielen Fehlinterpretationen aufgeräumt wird. Ursprünglich wird davon ausgegangen, dass der Name Halle zwingend etwas mit dem Salz zu tun hat. Immer wieder wurde in diesem Zusammenhang nur über Halle an der Saale diskutiert, weil dort auch Salz gefunden wurde. Hätte man sich aber die westfälischen, belgischen und holländischen Orte angesehen, hätte man gemerkt, dass Salz für die westfälischen Orte absolut keine Rolle spielt. Richtig ist daher: Wir haben zwei große Bereiche, in denen das Wort »Hall« zentral ist. Im Norden und Westen - vor allem bei Ihnen - bedeuten die Ortsnamen Schräge, Ort an der Schräge. Im Süden heißt es dagegen Ort am Salz, also Bergbau- oder Salinenorte. Auf die Lösung mit der Schräge kam ich durch Mundartformen und das Dialektwort Haal: Das ist eine Vorrichtung an der Decke zum Aufhängen von Kochutensilien. Es geht also auf das Wort »hängen«, eine Hängevorrichtung zurück. Wie ich später erforschte, geht es hier auch um eine Technik zur Weiterverarbeitung von Sole: Das Wort Haal geht daher auf die Saline zurück, bedeutet aber nicht Salz in diesem Sinne.
Sie helfen Personen über die Medien mehr über ihren Namen herauszufinden. Ist das Interesse der Menschen am eigenen Namen groß?
UDOLPH: Das Interesse ist riesengroß. Ich mache momentan für fünf Radiostationen regelmäßige Sendungen. Alleine »Antenne Brandenburg« sendet zwölf Sendungen pro Woche mit mir. Im Jahr 2006 war ich im ZDF bei Kerners »Deutschland deine Namen«. Wir hatten über sechs Millionen Zuschauer, eine Riesengeschichte. Gerne würde ich auch einmal nach Halle in Westfalen kommen, um die Namengeschichte näher zu erläutern.
Das Buch »Die Ortsnamen Hall, Halle, Hallein, Hallstatt und das Salz« ist Anfang September lieferbar und wird beim Gütersloher Verlag für Regionalgeschichte mit einer Stärke von 300 bis 400 Exemplaren aufgelegt. Es kostet 19 Euro und ist sowohl beim Verlag selbst als auch bei jedem Buchhändler zu bestellen. Die ISBN-Nummer lautet: 978-3-89534-866-2.