Von Max Maschmann
Versmold.
Als das Haller Kreisblatt im Dezember des vergangenen Jahres auf Wenke und Anke Müller zuging, um mit ihnen über den Tag zu sprechen, der das Leben von Tochter und Mutter dramatisch veränderte, tobte draußen ein kalter, regnerischer Wintertag. Ein Spiegelbild des Seelenlebens von Mutter und Tochter. Bei einem Verkehrsunfall am 18. April 2013 wurde Wenke Müller schwer verletzt, das Leben der beiden vollkommen aus den Angeln gehoben. Im Juni nun - 14 Monate nach dem Unfall - hat das HK Familie Müller erneut besucht. Draußen im Garten grünt und blüht es, die Sonne strahlt am Himmel. Zaghaft wie eine Knospe hat auch der Alltag im neuen Leben Einzug gehalten.Anke Müller will mit der schweren Vergangenheit endgültig abschließen. "Wir trauern dem alten Leben nicht mehr hinterher, sondern erfreuen uns an dem, was vor uns liegt", sagt die 39-Jährige selbstbewusst. Zum neuen Leben gehört, dass ihre Tochter seit dem 8. Januar eine Förderschule in Oelde besucht. In ihrer Klasse ist Wenke neben neun Jungen das einzige Mädchen. Der geringen Frauenquote zum Trotz, gefällt es der 15-Jährigen in der neuen Schule "ganz gut".
Am liebsten besucht sie den Deutschunterricht und kommt damit ganz nach ihrer Mutter Anke, die selbst passionierte Leserin ist. "Nach dem Unfall hat Wenke viele Bücher verschlungen", sagt die Alleinerziehende anerkennend. Es ist ein enormer Kampfgeist, der den Teenager in der Schule antreibt. "Wenke ist bemüht, den Realschulabschluss zu machen, und möchte anschließend Mediengestalterin werden", sagt Anke Müller über die Zukunftspläne ihres Kindes.
Die Logopädie, Ergo- und Physiotherapien, die Wenke in der Oelder Schule bekommt, haben dazu beigetragen, dass die 15-Jährige gesundheitlich rasante Fortschritte gemacht hat. Im Zeitraum von einem Jahr hat sich Wenke aus dem Koma und Wachkoma über das Pflegebett, den Rollstuhl und den Rollator an die Krücken zurückgekämpft und läuft damit bereits sehr sicher.
Dieser Prozess war nicht absehbar und überraschte die behandelnden Ärzte. "Vier Monate nach dem Unfall haben uns die Doktoren der Hattinger Klinik diagnostiziert, dass Wenke ein Pflegefall bleiben wird", erinnert sich Anke Müller. Eine Prognose, die Mutter und Tochter nicht akzeptieren wollten. In der Hattinger Klinik hatte die 15-Jährige das große Ziel vor Augen, am Rollator zu laufen, was ihr unmittelbar vor der Entlassung am 19. Dezember auch gelang. An den Krücken erfolgt jetzt der nächste Schritt.
Der starke Wille der Tochter und die liebevolle Hingabe von der Mutter haben diese Entwicklung möglich gemacht. "Sie ist meine Sonne und Energiequelle", sagt Wenke Müller liebevoll über ihre Mutter. Der Unfall hat die beiden noch enger zusammengeschweißt.
Es ist ein neues Leben, das vor Anke und Wenke Müller liegt. Ende 2013 besuchten sie einen Auftritt des Comedians Bülent Ceylan in der Dortmunder Westfalen
halle.
Der Verein Herzenswünsche hatte nach der Show ein Treffen hinter der Bühne organisiert. Dort durfte der Teenager die Haare des türkischstämmigen Komikers berühren. "Er hat schöne, weiche, lange Haare", erzählt die 15-Jährige grinsend.Ceylan sei bewegt gewesen von der schweren Vergangenheit des Mädchens und lud Mutter und Tochter zu einem weiteren Auftritt im Mai in Bielefeld ein. Dort fand im Anschluss an die Show erneut ein Treffen mit Ceylan und dessen Manager Ali statt. Ohne Krücken lief Wenke an der Hand des Comedians sechs Schritte. Für Mutter und Tochter ein toller Moment.
Und noch ein Ereignis in den vergangenen Monaten hatte für die beiden eine große Bedeutung. Wenke wurde am 30. März in der Petri-Kirche konfirmiert - für das Mädchen ein absolutes Highlight. Ebenso wie für CJD-Schulpfarrer Rüdiger Schwulst, der die Familie bereits seit dem Unfall am 18. April 2013 begleitet. Er gestaltete den Gottesdienst sehr persönlich und ergreifend: "Es war wirklich toll", berichtet Anke Müller.
Der Besuch bei Wenke und Anke Müller endet schließlich auf dem Bauernhof von Familie Büttner. Im Artikel des Haller Kreisblattes erzählte Anke Müller von der Pferdebegeisterung ihrer Tochter und dem großen Wunsch, sich regelmäßig um ein Pflegepferd kümmern zu wollen. Daraufhin meldeten sich unter anderem Ralf und Sabine Büttner aus Oesterweg in der Redaktion. "Die Chemie zwischen uns hat sofort gepasst", erzählt Anke Müller, bedankt sich gleichzeitig aber auch für die anderen Angebote.
Das Pferd, das Wenke nun an jedem Samstag zusammen mit den Mädchen Jacqui Ciszewski und Sofie Trenschel bürstet und pflegt, heißt Lancer und ist ein 22 Jahre altes deutsches Reitpony. "Lancer eignet sich besonders gut, weil es ein ruhiges und geduldiges Pferd ist", erklärt Besitzerin und Pferdefreundin Sabine Büttner. Die 49-Jährige hatte sich auf das Gesuch beworben, weil sie vom therapeutischen Nutzen der Aktion überzeugt ist: "Bei der Pflege des Pferdes sind viele Gliedmaßen in Bewegung, etwas Besseres gibt es nicht." Das nächste, große Ziel hat Wenke Müller bereits vor Augen: einmal auf dem Pferd sitzen. Ralf Büttner glaubt, dass es bis dahin noch dauert, "aber wenn es ihr Traum ist, dann wird sie es schaffen".
Es ist schließlich ein enormer Kampfgeist, der Wenke Müller vorantreibt - zum Schulabschluss, aufs Pferd und zurück ins Leben.