Von Uwe Pollmeier
Versmold-Oesterweg (HK).
Kaum war er da, war er auch schon wieder weg: Der Mann mittleren Alters betrat im Sommer kurz die Versmolder HK-Geschäftsstelle, legte eine auf dem Dachboden gefundene vergilbte und in zwei Teile zerrissene Ehrentafel der Oesterweger Gefallenen und Teilnehmer des Ersten Weltkriegs auf den Schreibtisch und verschwand mit den Worten "Ich kann da nichts mit anfangen, vielleicht ja Sie?!" Dort lag es nun, das mit einer Kartonrückwand gestärkte Fotopapier, auf dem die Ursprünge dutzender Familienschicksale aus Oesterweg verewigt sind. Eigentlich nur ein paar Gramm schwer und dennoch Abbild einer zentnerschweren Last für Generationen.
"Früher hingen diese Ehrentafeln in jeder Deele", erklärt die Oesterweger Stadtführerin Marianne Meyer auf dem Hofe. Als der Enthusiasmus dann nachgelassen habe, seien auch diese Ehrentafeln, die zuvor noch mit Stolz an die Wände gehängt worden seien, nach und nach verschwunden. Sie wisse jedoch, dass es noch ein Exem-
plar im Kyffhäuser-Kameradschaftsheim gebe. Dort kann die Spurensuche also weitergehen.
Monika Schmidt betätigt den Lichtschalter und zeigt in eine der schwach beleuchteten Ecken des Kyffhäuser-Kameradschaftsheims in Oesterweg. Dort hängt sie, die Ehrentafel. Die Vorsitzende der Kyffhäuser-Kameradschaft Oesterweg-Bockhorst erinnert sich, dass das gerahmte, etwa ein mal 1,50 Meter große Bild lange Zeit in Vergessenheit geraten war. Dabei ist es ein ganz besonderes Stück. Ein großes Passepartout aus dünnem Holz umgibt die einzelnen Fotos der Männer, die teils in Zivil, teils militärisch gekleidet sind, mit Stahlhelm und Pickelhaube. "Das Bild hängt hier noch keine 20 Jahre", sagt Schmidt. Man habe es bei der Neuerrichtung des Anbaus wiedergefunden. "Es lag in irgendeiner Ecke rum und man entschied sich damals, es hier aufzuhängen", sagt Schmidt.
Sie selbst könne nichts zu der Tafel sagen, immerhin sei sie ja auch nur eine Zugereiste. "Die abgebildeten Personen leben ja längst nicht mehr", sagt Schmidt und lässt ihren Blick über die Tafel schweifen. "Das sind viele bekannte Oesterweger Namen", ergänzt sie. Leider seien alle längst gestorben und selbst deren Kinder seien oft schon nicht mehr am leben.
"Das ist mein Vater", sagt Heinz Bohnemeyer, als er am Telefon vom HK erfährt, dass Otto Bohnemeyer als einer der Kriegsteilnehmer genannt wird. Er selbst habe nie so eine Tafel gehabt, jedoch sei früher in der Familie viel über die Ereignisse im Ersten Weltkrieg gesprochen worden. So auch die Geschichte der beiden anderen Bohnemeyers, die ebenfalls im Krieg waren und die beide vom Schicksal nicht verschont blieben. Bei der Schlacht um Verdun, eine der bedeutendsten Schlachten des Ersten Weltkrieges an der Westfront zwischen Deutschland und Frankreich, sei es im Jahr 1916 zur schicksalhaften Begegnung der beiden Verwandten gekommen. Dunkelheit und Nebel spielten eine Rolle und plötzlich wurde der eigentliche Kamerad fälschlicherweise als Feind angesehen und tödlich verletzt.
"Früher gab es unzählige von diesen Ehrentafeln. Es gab einen eigenen Verlag, der sie druckte", sagt Dr. Rolf Westheider, langjähriger Versmolder Stadtarchivar und heutiger Leiter des Gütersloher Stadtmuseums. Das Amt Versmold hatte schließlich während des Ersten Weltkriegs 347 Gefallene zu verzeichnen, 50 davon kamen aus Oesterweg, nennt Westheider Zahlen in seinem Buch »Versmold - Eine Stadt auf dem Weg ins 20. Jahrhundert«.
An die Gefallenen und ebenso an die Kriegsteilnehmer, die nach Oesterweg zurückkehrten, erinnert heute kaum noch etwas. Ihre Kinder sind selber alt oder bereits verstorben, mit ihren Enkeln wurde nur noch wenig über die damaligen Erlebnisse gesprochen.
Geblieben sind 100 Jahre nach Beginn des Ersten Weltkrieges nur die eingerahmte Ehrentafel im Kyffhäuser-Kameradschaftsheim Oesterweg, eine durchgeteilte in der Redaktion und vielleicht auch noch die ein oder andere auf Oesterweger Dachböden.
Der Redaktion ist leider nicht mehr bekannt, wer die Tafel damals abgegeben hat. Der Eigentümer soll sich daher bitte in der Redaktion unter ` (0 54 23) 47 62 30 melden. Er kann dieses seltene Erinnerungsstück natürlich jederzeit zurückerhalten.