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Wenn Steine reden könnten

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Unprätentiös stellt er sich vor, der Gastgeber, Georg Kerssen-brock. Sein kompletter Name? Georg Graf von Korff genannt Schmising-Kerssenbrock Graf Praschma Freiherr von Bilkau. Mitte Mai hatten er und sein Vater, Justus Maria Antonius von Praschma-Korff-Schmising-Kerssenbrock, die Türen bereits einem Team der Lokalzeit OWL des WDR geöffnet, dabei von der Historie des Hauses erzählt. Über viele Geschichtchen und Geschichten der vergangenen 700 Jahre könnte der studierte Jurist berichten. Einige greift er heraus, um sie den 20 Interessierten, die seiner Einladung und der der Volkshochschule Ravensberg gefolgt waren, zu berichten. Jene etwa über die Zeit, als Johann Wulff von Kerssenbrock sich im 14. Jahrhundert beim Droste auf der Sparrenburg um das Lehen in Ravensberg beworben hat. Oder jene über Rembert Jost von Kerssenbrock, dessen Initialen bis heute das Haupthaus von Brincke zieren, das er erweitern und ausbauen ließ. »R I V K S W K G S« ließt man da. Und stutzt. „Die Buchstaben sind die Anker für die Balken, die das Mauerwerk halten”, führt Georg von Kerssenbrock aus. Der 56-Jährige erklärt, dass das Haus auf Holzpfählen gebaut ist, dass das umgebende Wasser eben diese Substanz schützt, weil es die Oxidation verhindert. Hochwasser schätzt man in Brincke eher als Dürre und Trockenheit. Das Gut - es war dereinst der Ort, an dem die Menschen ihre Steuern zu entrichten hatten. „Nicht in barer Münze, sondern in Naturalien.” Und nicht immer zu ihrem Plaisir. Um die Einnahmen zu schützen, wurde eine Zugbrücke errichtet. „In der Zeit der Reformation wurde die Grafschaft Ravensberg administrativ von Brandeburg-Preußen verwaltet und ist evangelisch geworden. Auch die Familie Kerssenbrock. Die Korff-Schmisings aus Tatenhausen aber nicht”, führt er aus. „Sibylle Wilhelmine, die Frau Rembert Josts, hat den Katholizismus wieder eingeführt. Die Menschen auf dem Gutshof haben sich dem angeschlossen. So ist die katholische Enklave entstanden.” Im Torhaus etablierte sich später sogar eine katholische Schule. „Die gab es bis 1932”, weiß Georg von Kerssenbrock. „Später wurden die Volksschule in Barnhausen und die katholische Schule zusammengelegt.” Und dann erzählt der vierfache Familienvater, wie Ferdinand von Kerssenbrock, dereinst Domprobst in Osnabrück, schließlich das »Fideikommiss« für das Gut einrichtete, das eine feste Rechtsnachfolge regelte. Die wurde nötig, weil Ferdinand und sein Bruder Matthias keine Nachkommen hatten. 1750 war das. „Der zweitgeborene Sohn der Korff-Schmisings aus Tatenhausen sollte fortan Rechtsnachfolger auf Brincke werden.” Einzige Bedingung: Der Name Kerssenbrock musste dabei übernommen werden. „Das hat es dann auch zwei Generationen in Folge so gegeben”, erklärt Georg von Kerssenbrock. „Ferdinand war ein machtbewusster Mensch gewesen”, vermutet Georg von Kerssen-brock in der Rückschau. „Er war Verweser des Bischofs. Das bewegliche Inventar von Haus Brincke hat er zu Gunsten des Osnabrücker Doms versteigern lassen.” Rembrandt- und Bruegel-Gemälde inbegriffen. „Ältere Gegenstände als 200-jährige gibt’s hier nicht”, so von Kerssenbrock. Mit einer Ausnahme: das Kreuz in der Kapelle. „Es stammt wahrscheinlich aus dem 12. Jahrhundert.” Seine Ur-Großmutter fand es auf dem Dachboden der Borgholzhausener Kirche. „Sie hat es restaurieren lassen.” Auch Bänke der evangelischen Kirche finden sich auf Brincke wieder. Sie dienten zur Vertäfelung eben jenes Wohnsaales, in dem inzwischen die Ahnengalerie beheimatet ist. Die schöne Kapelle mit ihren Säulen aus belgischem Marmor - sie ist das jüngste Gebäude auf der Gutsanlage. Anna von Spee, die Ehefrau von Franz-Xaver, bot sich diese aus. 1898/99 wurde sie errichtet. Verwunderlich eigentlich, hätte man einen solchen Bau auch schon viel früher erwarten können. Schließlich war doch schon Rembert von Kerssenbrock Bischof im Bistum Paderborn, fungierte Ferdinand von Kerssenbrock als Domprobst in Osnabrück, zog es Clemens August sogar nach Rom, wo er Geheimkämmerer von Papst Pius IX war. Aktive Land- und Forstwirtschaft - „die hat es erst nach dem Ersten Weltkrieg gegeben. Bis dahin war das Land an Heuerlinge verpachtet”, verrät Georg von Kerssenbrock. Mehr als 400 Hektar sind daraus geworden. „Wir erzeugen jedes Jahr 1,3 bis 1,4 Millionen Kilogramm Milch”, führt er aus. Eben jener Erste Weltkrieg kostete sowohl Joseph (1886-1917) als auch seinen Bruder Anton (1895-1918) das Leben, sodass Alois von Kerssenbrock (1891-1960) die Rechtsnachfolge antrat. Er heiratete im Jahr der großen Depression 1929 Maria Bertha von Westerhold und Gysenberg. Eben jene Gräfin Maria Bertha, nach der heute die Grundschule benannt ist. Das Paar adoptierte später Justus Graf Praschma Freiherr zu Bilkau und seine Geschwister Bernhard und Annemone. Bis heute lebt Graf Justus auf Brincke. Sein Sohn Georg von Kerssenbrock ist vor Kurzem mit seiner Frau Ines und den Kindern wieder hierher gezogen. Genug der Geschichte? Keineswegs. Georg von Kerssen-brock könnte noch viel, viel mehr berichten. Von der Religionsausübung in preußischen Provinzen zur Zeit der napoleonischen Kriege. Von den verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Grafen zu Stolberg oder Fürstenberg. Und sogar von schottischem Blut. Doch dafür reicht eine Führung nicht aus. Gut, dass die Volkshochschule Ravensberg bereits eine zweite geordert hat.

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