Das Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1 e-moll op. 21 von Chopin ist populär. Es verlangt im Orchester zwei Flöten, zwei Oboen, zwei Klarinetten, zwei Fagotte, vier Hörner, vier Trompeten, Posaune und Pauken. Doch Chopins Stärke bestand in der Ausarbeitung des virtuosen und brillanten Klaviersatzes - dem Orchester maß Chopin nur eine schwache Bedeutung zu. Der Pianist Kevin Kenner begründete die kammermusikalische Bearbeitung.
Er habe Chopins Konzert weltweit mit großen Orchestern aufgeführt. Es sei für ihn stets unbefriedigend gewesen, dass die Feinheiten des Klavierparts hier leicht untergehen können. Die Interpretation durch den preisgekrönten Pianisten bestätigte diese Aussage. Chopin dachte in den Kategorien eines Pianisten - der er ja selbst auch war. In seinem letzten Auftritt in der Heimat spielte Chopin sein Klavierkonzert in Warschaus Nationaltheater. Das e-Moll-Konzert beschloss die erste, jugendliche, aber schon reife Schaffensperiode des Meisters.
Mit fünf Streichern ließ sich in der Orchestereinleitung gewiss kein gewaltiger Klangteppich legen. Doch mit dem ersten Einsatz des Klaviers entwickelte Kevin Kenner den ganzen Zauber dieses Werkes. Der Mittelsatz erinnerte stark an die Chopin’schen Nocturnes: romanzenhaft, ruhig und melancholisch. Im Finale genoss das Publikum den virtuosen Ausbruch aller Register des Klaviers in Passagen und Läufen. Das Krakauer Ensemble Piazzoforte, bestehend aus Maciej Lulek und Pawel Wajrak (Violine), Ryszard Sneka (Bratsche), Konrad Górka (Violoncello) und Grzegorz Frankowski (Kontrabass), sowie Kevin Kenner erwiesen sich als eingespieltes Team, das sich blind verstand und eine kammermusikalisch ungewohnte, aber begeisternde Interpretation bot.
Nach der Pause ging es mit Werken des argentinischen Komponisten Astor Piazzolla (1921-1992) weiter. Doch was verbindet die Werke Chopins mit denen Piazzollas? Beide ließen sich inspirieren von den musischen Wurzeln ihrer Heimatländer, beide waren hochbegabte Instrumentalisten und Künstler der Improvisation.
Wer im zweiten Teil des Abends eine Aneinanderreihung bekannter Tangos erwartet hatte, wurde sicher enttäuscht. Piazzollas Konzerttangos sind nicht mehr im traditionellen Sinne tanzbar, sondern in erster Linie Musik zum Zuhören. Piazzolla hat die Spieltechnik der Instrumente im Tango durch Anleihen aus der Neuen Musik ausgeweitet: Bogenschläge auf der Violine, stechende Streicherakzente in hoher Lage sowie Glissandi des gesamten Ensembles. Typisch auch die synkopischen Rhythmen, die harmonischen Wendungen des Tangos, Staccati und die generell melancholische Stimmung der Musik. Grzegorz Frankowski, Leiter des Ensembles, reihte Piazzolla in die Reihe großer Komponisten des 20. Jahrhunderts ein. Für den Pianisten und die Streicher waren die Werke eine Herausforderung. Komplexe Fugen, ruhige Passagen und heftige Ausbrüche im ständigen Wechsel. Gekonnte Interpretationen vorausgesetzt - das Steinhagener Publikum ließ sich gerne überzeugen und erklatschte sich noch eine Zugabe.
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