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Kühler Außenseiter

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Im März trat Pretzell in die frisch gegründete AfD ein. „Am ersten Tag, an dem es überhaupt möglich war”, sagt er. Mehr direkte Demokratie, Stärkung des Rechtsstaats, ein Ende der Rettungspakete für angeschlagene Euro-Staaten - dafür kämpft er im Moment tagtäglich. „Meine Arbeit als Immobilienentwickler ruht bis zur Wahl.” Die Tage sind dennoch prall gefüllt. „Organisation, Organisation, Organisation.” Veranstaltungen planen, Redner einladen, Räume anmieten. „Das geht schon morgens um 7 Uhr los.” Die Parteiarbeit regelt Pretzell (der Nachname stammt von österreichischen Vorfahren) von zu Hause aus. Vor zwölf Jahren verschlug es ihn nach Ostwestfalen. Aufgewachsen in Wiesbaden, studierte er nach dem Abitur 1992 (Leistungskurse Physik und Chemie) in Heidelberg Rechtswissenschaften. Die Biografie eines kühlen Analytikers? Pretzell überlegt. Dann nickt er. „Ich würde mich schon als sachlichen, naturwissenschaftlich geprägten Typen bezeichnen.” Populistische Dampfplauderei liege ihm nicht. Nach der Referendariatszeit in Paderborn arbeitete Pretzell in Bielefeld („Die Stadt habe ich längst lieb gewonnen”) zwischen 2002 und 2009 als Rechtsanwalt in einer eigenen Kanzlei. Sein Schwerpunkt: Immobilienrecht. Das galt jahrelang als staubtrockenes Thema, fand in den Medien kaum Beachtung - bis 2008 der Zusammenbruch des amerikanischen Häusermarkts die Finanzwelt ins Wanken brachte. „Das habe ich natürlich genau verfolgt”, sagt Pretzell, der nach der Pleite der Lehman-Bank unter anderem Mandanten gegenüber amerikanischen Hedgefonds vertrat. Seit 2009 entwickelt er überregional Immobilienprojekte. Politisch interessiert sei er immer gewesen, sagt Pretzell. Ex-Bundeskanzler Konrad Adenauer schätzt er wegen seiner Geradlinigkeit, auch Ludwig Erhard, der Vater des deutschen Wirtschaftswunders, stehe hoch im Kurs. Fünf Jahre war Pretzell Mitglied bei der FDP. Im Jahr 2009 trat er aus, denn der Bundestag winkte für die kriselnden Mittelmeer-Anrainer im Eilverfahren milliardenschwere Rettungspakete durch. Die Stimmen der Liberalen halfen beim Aushebeln von Gesetzen, sagt Pretzell. Er war desillusioniert, fühlte seine Ideale verraten. „Rechtsbrüche” und „illegales Handeln” wirft er seinen ehemaligen Parteikollegen vor. Die Idee, sich selbst politisch zu engagieren, war geboren. Zwar bezeichnet sich Pretzell als Laie, wirkt bei seinen Ausführungen aber wie ein Profi. Aufgeräumt und seriös kommt er rüber, Typ Geschäftsmann, weniger Jeans und Turnschuhe. Präzise, ruhig und eloquent legt er seine Sicht der Dinge dar. Man merkt: Der Mann meint’s ernst. Wenn er sich nicht mit der Parteiarbeit herumschlägt, kümmert sich Pretzell um seine Frau und vier Kinder (acht, zweimal sieben und drei Jahre alt). Zeit für andere Hobbys bleiben derzeit nicht. „Manchmal komme ich immerhin dazu, ein Buch zu lesen”, sagt er und lacht. Zuletzt lag »Atlas wirft die Welt ab« auf dem Nachttisch, ein Roman über libertäre Ziele, über wirtschaftliche Freiheiten, über die staatlichen Hürden des Turbokapitalismus. Schwere Kost, „aber hochgradig interessant”. Eine ganz andere Hürde muss die AfD im September überspringen: Fünf Prozent braucht der Parteineuling, um in den Bundestag einzuziehen. Ob das aus dem Stand möglich ist? Die Demoskopen zweifeln - und stecken Pretzell und seine Kollegen in die Kategorie »Sonstige«. „Ich glaube trotzdem fest daran, dass wir es schaffen”, sagt Pretzell. Zweckoptimismus? „Nein, Überzeugung.” Und wenn es doch schiefgeht? Pretzell plant langfristig, will sich und die AfD auf dem politischen Parkett etablieren: „Dann nehmen wir uns halt die Europawahl 2014 vor.”

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