Von Silke Derkum
Versmold. Fast ein Jahr lang hat er gekämpft, gehofft und nicht aufgegeben. Nun kann Roman Bulatow die Früchte seiner Hartnäckigkeit ernten. Der 21-Jährige darf studieren. Am 1. September beginnt er an der Fachhochschule Bielefeld sein Wunschstudium »Angewandte Mathematik«. Der Fall des Versmolders hatte überregional für viel Empörung gesorgt und sogar Wellen in die Bundespolitik geschlagen. Am Ende hat ein Erlass des NRW-Wissenschaftsministeriums dafür gesorgt, dass dem Einser-Abiturienten der Zugang zur Hochschule nicht mehr verwehrt wird.
"Ich hatte eigentlich immer gedacht, dass das Studienfach, das ich mir ausgesucht habe, eine Herausforderung ist", sagt Roman Bulatow, "dass aber die Einschreibung schon zur Herausforderung wird, hatte ich nicht erwartet." Obwohl er bereits im vergangenen Sommer die schriftliche Zulassung der Fachhochschule (FH)
in den Händen hatte, konnte er sein Studium nicht antreten. Die Ausländerbehörde des Kreises Gütersloh verweigerte dem 21-Jährigen die erforderlichen Ausweispapiere.
Denn nach Meinung der Behörde wirke er nicht genügend an der Klärung seiner Identität mit. Die wird vom Kreis angezweifelt, da Bulatows Eltern vor elf Jahren ohne Papiere in Deutschland Asyl beantragt haben. Dass sie, wie sie angaben, aus Usbekistan stammten, ließ sich nicht nachweisen. Und so zweifelt der Kreis die Herkunft der Familie an. Als abgelehnte Asylbewerber leben die Bulatows seitdem mit einer Duldung in Deutschland - denn ohne verifiziertes Herkunftsland ist eine Abschiebung nicht möglich. Roman Bulatow selbst hatte stets beteuert, nicht mehr über seine Vergangenheit zu wissen und deshalb auch keine weiteren Angaben machen zu können, um ein offizielles Ausweispapier zu bekommen.
FH ist froh über Erlass des Ministeriums
Das braucht er nun auch nicht mehr. Denn das NRW-Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung hat sich mit einem Erlass an die FH gewandt. Demzufolge muss die Hochschule nun nicht mehr den ausländerrechtlichen Status prüfen, sondern nur noch darüber befinden, ob ein Studienbewerber die fachlichen Voraussetzungen erfüllt. Und dies trifft auf Roman Bulatow, der seine Fachhochschulereife mit dem Notendurchschnitt 1,6 am Haller Berufskolleg erlangt hat, ohne Frage zu.
Was die fehlenden Ausweispapiere betrifft, gibt sich das Ministerium praxisnah. "Wenn Studienbewerber mit Duldungsstatus der Ausweispflicht nicht genügen beziehungsweise ihre Identität nicht eindeutig geklärt ist, können sie unter der Identität studieren, unter der sie auch die Zugangsberechtigung zum Studium erlangt haben", erklärt Verena Kukuk von der Fachhochschule Bielefeld, die Anweisung des Ministeriums.
"Dieser Erlass ist zwar bei uns speziell zum Fall Roman Bulatow eingegangen", sagt sie, er finde aber nun selbstverständlich auch bei allen anderen Studierenden in der gleichen Situation Anwendung. "Wir sind froh über diese Entscheidung, denn nun haben wir endlich eine sichere Grundlage, nach der wir in solchen Fällen verfahren können", sagt die FH-Pressesprecherin. Denn die Hochschule sei ja selbst stark daran interessiert, gut qualifizierte Flüchtlinge als Studenten annehmen zu können.
Als Roman Bulatow in der vergangenen Woche in Bielefeld war, um sich an der FH einzuschreiben, war er selbst erstaunt darüber, dass alles ganz normal ablief, wie er erzählt. "Ich habe alle Unterlagen ausgefüllt und dann gefragt, ob denn mein Duldungsstatus überhaupt kein Problem sei", berichtet er. "Die Frau im Einschreibebüro hat gelächelt und gesagt »Nein, es gibt ja einen Erlass« - und vier Tage später habe ich schon meine Zugangsdaten für den Computer von der FH zugeschickt bekommen."
Seine Mutter habe Freudensprünge gemacht, als die Papiere eintrafen, erzählt der Versmolder. Am meisten freue er sich aber für seine Schwester Fatima. Die 16-Jährige habe gerade ihren Abschluss an der CJD-Realschule mit 1,1 gemacht und wechsele nun aufs Gymnasium. Durch den Erlass kann auch sie sich ihren Traum vom Studium erfüllen.
Auch Thorsten Klute, NRW-Staatssekretär für Integration, ist froh über die Entwicklung. "Es geht um Teilhabe von Menschen, deren Zukunft in Deutschland ist und nicht woanders sein kann", sagt er im Gespräch mit dem Haller Kreisblatt, über das Klute vor zehn Monaten von dem Fall Bulatow erfahren hatte. Seitdem hat er sich für den jungen Versmolder und viele Menschen, die in einer ähnlichen Situation sind, starkgemacht und Gespräche zwischen den zuständigen Ministerien und Behörden koordiniert.
Mit dem Ergebnis ist er hochzufrieden. "Wir müssen endlich einige ideologische Zöpfe der 80er-Jahre abschneiden", sagt er in Bezug auf die Haltung verschiedener Behörden und Politiker, die daran festhalten, dass auch die Kinder der Asylbewerber mit ungeklärter Herkunft keine Ausbildungschancen in Deutschland haben. "Ein bisschen mehr gesunder Menschenverstand täte unserer Gesellschaft gut", so Klute.
INFO
Gestzentwurf auf Bundesebene
Für Roman Bulatow und die nordrhein-westfälischen Asylbewerber mit ungeklärter Herkunft gibt es nun ein Happy End. Doch auf politischer Ebene ist der Fall Bulatow noch nicht abgeschlossen. Denn der im Februar vom Bundesrat verabschiedete »Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung« für Ausländer, ist nach wie vor noch nicht im Bundestag diskutiert worden. Ein Passus unter 34 Ergänzungen dieses Gesetzentwurfes ist die Regelung, dass heranwachsende geduldete Ausländer, also die zweite Generation, vom Beschäftigungsverbot ausgenommen sind. Das gilt für diejenigen, die nicht bei der Klärung ihrer Identität mitwirken. Wann über diesen Gesetzentwurf entschieden wird, steht noch nicht fest.