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Schicksalsschläge als Antrieb

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Von Uwe Pollmeier

Borgholzhausen. Arnold Weßling sitzt im Wohnzimmer des vor sechs Familiengenerationen erbauten Hofs kurz vor der niedersächsischen Landesgrenze und nippt an einer Tasse Tee. "Ich trinke ihn zu jeder Tages- und Nachtzeit, am liebsten den Schwarzen aus Darjeeling", sagt der 65-Jährige. Er wirkt entspannt, auch wenn sein Terminkalender selbst nach dem Rücktritt als Vorsitzender des Landwirtschaftlichen Kreisverbandes Gütersloh und von der Spitze des OWL-Bezirksverbandes noch prall gefüllt ist. "Es bleibt aber mehr Zeit für die Familie. Das ist unendlich schön", sagt er, während der Gong der antiken Standuhr im Hintergrund dreimal schlägt. Die Familie hat viel Verzicht üben müssen, aber sie war auch sein Ansporn, sich für die Rechte von Landwirten einzusetzen.

Mitte der 1980er Jahre ereilten Weßling einige Schicksalsschläge, die ihn auf harte Bewährungsproben stellten. "Ich bin dankbar dafür, dass ich damals nicht in ein Tal gefallen bin und die Dinge psychisch besser verkraftet habe als physisch", sagt Weßling rückblickend. Es war im Herbst 1985, zur Zeit der Maisernte, als seine zweijährige Tochter auf dem Heuboden spielte. "Ich stand im Flur am Telefon und hörte plötzlich einen dumpfen Schlag", erinnert sich Weßling. Er rannte raus, sah sein Kind, das gerade über ein Eisengitter hinweg drei Meter tief und kopfüber auf den Asphalt geprallt war, in einer Blutlache liegen. Er startete seinen Opel Rekord und raste zur Kinderklinik in Bethel. "Unterwegs rammte mich kurz hinter Werther beim Überholen beinahe eine langsam fahrende Ente, aber am Ende ging alles gut aus", sagt Weßling. Kurz darauf brach sich die ältere Tochter beide Oberschenkel, als sie von einem Anhänger überrollt wurde, und zwei Jahre darauf erlitt Weßling selbst einen schweren Autounfall.

"Ich habe damals schwere Halswirbelverletzungen erlitten", sagt der letzte ehrenamtliche Bürgermeister Borgholzhausens. Unter den Schmerzen, gegen die Zahnschmerzen ein Witz seien, leide er bis heute. Es folgten lange Krankenhausaufenthalte im Bochumer Universitätsklinikum Bergmannsheil und in der Werner-Wicker-Klinik im hessischen Bad Wildungen. "Diese Ereignisse haben mir gezeigt, wie schnell sich alles ändern kann", sagt Weßling, der selbst als Jugendlicher früh seine Mutter verlor und als Einzelkind fortan deren Arbeiten übernehmen musste. "Ich habe Leid erlebt, aber gnadenvoll ist es, wenn man immer wieder aufstehen kann."

Fortan setzte sich der Landwirt, der bereits als Jugendlicher bei der Evangelischen Jugend auf dem Lande (EJL) aktiv gewesen ist, verstärkt für die Rechte seiner Berufskollegen ein. "Manchmal kommen Menschen zu mir und sagen ’Wenn du nicht gewesen wärst, gäbe es unseren Hof nicht mehr’. Das bedeutet mir viel mehr als eine Auszeichnung", sagt der Bundesverdienstkreuzträger, der am Montag in Werther von Bauernpräsident Johannes Röring die Goldene Schorlemerplakette und somit die höchste Auszeichnung des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverbandes erhalten wird.

Sein berufliches und ehrenamtliches Wirken auf verschiedensten Ebenen ließen in den vergangenen Jahren keine Zeit für Hobbys. "Ich bin kein Jäger", spielt er auf das wohl beliebteste Hobby von Landwirten an. Er sei aber immer schon interessiert an Gesprächen gewesen. "Ich habe schon als Kind auf der Kurzwelle verschiedene ausländische Sender gehört", sagt Weßling. Er begegne gerne Menschen mit ganz unterschiedlichen Prägungen, so etwa auch kürzlich dem Agrarattaché der Botschaft der Russischen Föderation in Berlin, Vladimir Shaykin.

Die Nachfolge auf dem Hof ist gesichert. Zwei seiner Kinder werden ihn zukünftig im Nebenerwerb weiterhin bewirtschaften. "Und ich bin ja auch noch da", ergänzt Weßling. Der Familienmensch, der von sich selbst sagt, dass er sensibel wird, sobald es die Kinder betrifft, aber ansonsten ein dickes Fell vorzuweisen hat, plant für die Zukunft einige Reisen mit seiner Ehefrau Magdalene.

"Es gibt viele geschichtsträchtige Orte in Deutschland oder auch darüber hinaus, die ich gerne mal besuchen würde", sagt der 65-Jährige. Nicht ganz so weit ging es kürzlich beim ersten gemeinsamen Urlaub mit den fünf Kindern. Zum 40. Hochzeitstag ging es auf die Nordseeinsel Wangerooge. Nur zwei Tage und dennoch durch keine Urkunde und Auszeichnung zu ersetzen.


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