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Das Sterben der Väter

Von Alexander Heim

Steinhagen.
Die ersten beiden Morde sind schon geschehen, noch ehe sich der Vorhang auch nur den Hauch einer Spur bewegt hat: Erst tötet Hamlet, König von Dänemark, seinen Widersacher Fortinbras von Norwegen. Jahre später wird er selbst Opfer eines feigen Mordanschlages. Doch wer im Gedankengefüge der Renaissance die Welt aus den Angeln hebt, der muss mit Fürchterlichem rechnen. Und so dauert es am Ende keine fünf Minuten, bis eine ganze königliche Dynastie vom Antlitz der Erde gelöscht wird. Die Theaterakademie Stuttgart gastierte am Donerstagabend auf Einladung des Kulturwerkes Steinhagen mit einem sagenhaften Hamlet, der es in sich hatte.

Nein, es gab kein opulentes Bühnenbild und keine schillernden, edlen Kostüme. Stattdessen eine Königsfamilie, die in eleganter Robe unserer heutigen Zeit ihre Konflikte austrägt. Und staatstragenden Akteuren wie Polonius sogar trotz Rollstuhl die Amtsausübung zugesteht. Roosevelt und Schäuble lassen grüßen.

Wie ein Junge in der Pubertät gebärdet sich der junge Prinz Hamlet, um den das gesamte dänische Königshaus sich zwar sorgt, aber auch keinen Zugang mehr zu ihm findet. Der noch frische Tod seines Vaters, die Gewissheit, dass es sich dabei um einen Mord handelte, die allzu rasche Neuvermählung seiner Mutter ausgerechnet mit dem Bruder des Vaters und die empfundene Zurückweisung, was die Thronfolge angeht - das alles ist einfach zu viel für ihn.

Eineinhalb Stunden sollen in der Inszenierung von Christian Schlösser dennoch vergehen, ehe der erste Mord auf offener Bühne die Folge ist: Ausgerechnet den Vater seiner Verlobten Ophelia erschießt Prinz Hamlet mit schnell gezücktem Revolver. Von da an bekommen alle Dinge ihre eigene Dynamik. Mit unglaublicher Präsenz erzählten Paul Elter (Hamlet), Cornelia Schlösser (Gertrud), Christian Steiner (Claudius), Christopher Wittkopp (Laertes), Alessandra Bosch (Ophelia) und Bernd Köhler (Polonius) die Stationen des Dramas. Immer wieder nutzten sie die Möglichkeiten moderner Technik, um Ortsveränderungen, etwa durch Einblendungen von Bild- und Videoprojektionen auf das an sich schlichte Bühnenbild, anzudeuten. Und transportierten die Geschichte auch durch die Wahl der Accessoires - etwa von Maschinengewehren oder einem Föhn - in die Jetzt-Zeit.

Natürlich haben die Wachen da richtig erkannt: "Es ist was faul im Staate Dänemark." "Schwachheit, dein Name ist Weib", kränkt Hamlet, der in Wittenberg den Geist einer neuen Zeit aufgesogen hat, seine Mutter. Während der Königsmörder Claudius wenig Reue zeigt und stattdessen überlegt: "Kann man auf Verzeihung hoffen - und die Früchte seiner Tat behalten?"

Am Ende überstürzen sich die Ereignisse. Hamlet und Laertes liefern sich ein beeindruckendes, wenngleich für beide tödlich endendes Fechtduell. Der Prinz zwingt seinen Stiefvater und Onkel, das eigene Gift zu trinken. Schließlich lassen neben Ophelia, Rosenkranz und Güldenstern auch der Thronfolger und seine Mutter ihr Leben.

Angesichts der Aufführung eines so jugendlichen, schwungvollen und aktuellen Hamlets, zu dem überdies Workshops für Schulklassen möglich gewesen wären, hätte es sicherlich nicht geschadet, wenn auch der ein oder andere Literatur- oder Englischkurs umliegender Schulen seinen Weg in die Aula des Schulzentrums gefunden hätte. Mit modernen Inszenierungen erreicht man zumindest in Steinhagen nicht automatisch ein jüngeres Publikum. In diesem Fall wirklich schade.


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