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"Wir brauchen Erfolgserlebnisse"

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Halle.
Seminare für Berufsrückkehrerinnen, eine Lesung zum Thema Altersarmut bei Frauen, der Hinweis auf ungerechte Lohnverteilung - Halles Gleichstellungsbeauftragte geht gerade mächtig in die Offensive. Aber gibt es für Frauen denn tatsächlich noch so viel zu erkämpfen? Ist die Geschlechtergerechtigkeit nicht längst Realität? HK-Redakteur Marc Uthmann versucht Eva Sperner im Interview mit durchaus provokanten Fragen in Erklärungsnot zu bringen. Ein Gespräch über Chancen, soziale Grenzen und darüber, warum Erfolgserlebnisse so wichtig sind.

Frau Sperner, eigentlich könnten Sie sich entspannt zurücklehnen, oder?

Eva Sperner: Warum das denn?

Es gibt die Frauenquote in Aufsichtsräten, die Kinderbetreuung wird kontinuierlich ausgebaut - Frauen stehen doch heute beruflich alle Wege offen. Zumindest hier ist die Gleichberechtigung geschafft, würde ich sagen.

Sperner: Das sehe ich aber ganz anders. Es gibt noch viele Gebiete, auf denen etwas getan werden muss. Und nur weil wir Quoten festgelegt haben, ist noch nichts erreicht.

Wo sehen Sie da denn noch Probleme?

Sperner: Es gab schon häufiger gesetzliche Regelungen zur Gleichberechtigung, die in der Praxis nicht umgesetzt wurden. Wir sollten jetzt erst mal abwarten, ob die Frauenquote funktioniert. Und dass für die Frauen im Berufsleben noch lange nicht alles Gold ist, was glänzt, lässt sich schlicht an nackten Zahlen ablesen.

Die da wären?

Sperner: Zum Beispiel gibt es am 20. März wieder den »Gender Pay Day«. Das ist sozusagen der Tag der Lohngerechtigkeit. Da werden auch die Gleichstellungsstellen im Land wieder darauf hinweisen, dass Frauen in Deutschland durchschnittlich 22 Prozent weniger verdienen als Männer.

Das klingt jetzt aber ein bisschen frustriert.

Sperner: Ich sehe sehr wohl, dass in den vergangenen 20 bis 25 Jahren zwar eine Menge in Bewegung gekommen ist - angekommen sind wir aber noch lange nicht. Berufliche Gleichberechtigung ist ein Prozess, der viel revolutionäre Geduld erfordert.

Warum geht das so langsam? Herrscht denn noch keine Gleichberechtigung in den Köpfen?

Sperner: Nehmen Sie zum Beispiel junge Paare. Die haben ja den guten Vorsatz, die Aufgaben, die sich aus der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ergeben, gemeinsam zu tragen. Aber das scheitert oft in der Praxis, weil der Mann eben mehr verdient. Und wenn ein Haushalt die Wahl hat, auf welches Einkommen er zumindest befristet verzichten kann, wird natürlich das niedrigere gewählt, also meist das der Frau. Ein weiteres Problem sind hier die Arbeitgeber.

Inwiefern?

Sperner: Die Unternehmen akzeptieren Mutterschaft. Mit Vätern, die lange wegen Elternzeit ausfallen, tun sich viele noch schwer. Und so rutschen Frauen in die nächsten Schwierigkeiten hinein. Und zwar dauerhaft.

Weil Sie den Anschluss verlieren?

Sperner: Genau. Wir haben etwa 7,5 Millionen geringfügige Beschäftigungsverhältnisse - 63 Prozent davon sind Arbeitsplätze von Frauen. Und darüber hinaus sind drei Viertel der Teilzeitbeschäftigten in Deutschland weiblich. Das hat wirtschaftliche Folgen. Spätestens beim ersten Rentenbescheid rutscht mancher Frau das Herz in die Hose, denn dann droht bei im Schnitt 500 Euro Rente Altersarmut. Gerade bei denen, die im Alter auf sich allein gestellt sind.

Aber ist das nicht eine bewusste Entscheidung der Frauen? Viele wollen doch bewusst in Teilzeit arbeiten, wenn sie nach der Mutterschaft wieder anfangen.

Sperner: So einfach ist die Lage nun nicht. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat sich erst seit kurzem etwas getan. Der Rechtsanspruch auf den Kita-Platz ab dem ersten Lebensjahr, Randstunde, Betreuung im Ganztag - das sind doch noch ganz junge Entwicklungen. Aber trotzdem bleibt gerade bei mehreren Kinder das Problem der familiären Organisation. Von gesellschaftlicher Akzeptanz einmal ganz abgesehen.

Wie meinen Sie das?

Sperner: Der Begriff der Rabenmutter - den man in anderen Ländern übrigens gar nicht kennt - ist bei uns immer noch nicht ausgestorben. Die Vorurteile existieren nach wie vor. Nach dem Motto: Warum schafft sie sich denn Kinder an, wenn sie unbedingt arbeiten gehen will?

Verzweifeln Sie manchmal an den Barrieren in den Köpfen?

Sperner: Natürlich würde ich mir einen schnelleren Fortschritt wünschen. Aber auf der anderen Seite ist bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch viel erreicht worden. Es dauert nun einmal ein wenig, bis sich Realität und Empfinden ändern. Bislang waren wir an das sogenannte traditionelle Familienmodell gewöhnt. Was wir brauchen, damit sich die Dinge ändern, sind Rahmenbedingungen, Geduld, Erfahrungen und Erfolgserlebnisse.

Aber wollen die Frauen denn überhaupt in jeder Hinsicht gleichberechtigt sein?

Sperner: Niemand soll müssen, aber jeder sollte die Chance erhalten, zu können. Die einzige natürliche Grenze, die Frauen in ihrer Freiheit beeinträchtigt, ist die Schwangerschaft. Alle anderen Grenzen sind ihr sozial gesetzt. Wie heißt es so schön: Gebären und Stillen sind ein Naturgesetz, das Anstellen der Waschmaschine ist es schon lange nicht mehr.

Wie können Sie als Gleichstellungsbeauftragte denn überhaupt dabei helfen, soziale Grenzen zu überwinden?

Sperner: Wir wollen nicht missionieren - Frauen treffen ihre Entscheidungen selbst. Es geht darum, sie zu ermutigen, ihre Fähigkeiten wieder auf den neuesten Stand zu bringen, Wege aufzuzeigen. Und wir informieren - wie etwa mit der Lesung von Christina Bylow, die am 24. Februar in die Haller Remise kommt.

Was kann Sie zur Debatte beitragen?

Sperner: In ihrem Buch »Die verratene Generation« beschreibt sie, wie Altersarmut bei Frauen entsteht, zeigt die Konsequenzen von Entscheidungen auf, sensibilisiert Frauen für ihre Situation.

Wie werden Sie eigentlich weiter für Gleichberechtigung kämpfen?

Sperner: Als einzelne kommunale Gleichstellungsbeauftragte kann ich keine Gesetze ändern. Aber wir können Menschen überzeugen. Mit guten Argumenten. Und mit unserer gut vernetzten Arbeit. Die Gleichstellungsstellen im Kreis haben zum Beispiel das Internetportal www.pia-online.eu ins Leben gerufen, mit vielen Veranstaltungshinweisen und Themenschwerpunkten. Und auf Landes- und Bundesebene leisten unsere Netzwerke wertvolle Lobbyarbeit.

Frau Sperner, was sind für Sie im beruflichen Alltag eigentlich konkrete Erfolgserlebnisse? Wann haben Sie das Gefühl, etwas erreicht zu haben?

Sperner: Zum Beispiel immer dann, wenn eine Frau nach einer Beratung bei mir sagt: ’Jetzt weiß ich, wo es bei mir langgeht.’

¦ Die Lesung mit Christina Bylow am 24. Februar wird veranstaltet von den Gleichstellungsstellen Halle und

Werther.
Der Eintritt beträgt sechs Euro (ermäßigt: drei Euro). Karten gibt es im Haller Bürgerbüro und in der Buchhandlung »Lesezeichen« in Werther.

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