VON ALEXANDER HEIM
Halle.
Am Anfang standen Wünsche. Wünsche, die Menschen mit Handicap geäußert hatten. Wünsche danach, sich nicht nur am Arbeitsplatz, sondern auch in der Freizeit sehen zu können. Wünsche, die freie Zeit nicht nur unter anderen Menschen mit Behinderungen, sondern in einem ganz gewöhnlichen, alltäglichen Umfeld zu verleben. Freizeitangebote für Menschen mit Handicap gab es bis dahin freilich schon. Aber stets wurden sie vereinzelt von der einen oder anderen Institution betreut. Für Nora Wallach von »Odilia« Anlass, sich darüber Gedanken zu machen, warum nicht alle Haller Einrichtungen ihre Angebote bündeln sollten. So entstand Anfang 2011 ein runder Tisch, aus dem inzwischen der Arbeitskreis Inklusion gewachsen ist. Und der ist stetig dabei, neue Ideen zu entwickeln.Es ist ein Freitag, an dem sich die Mitglieder des Arbeitskreises zu einem neuerlichen Treffen zusammenfinden. Diesmal nicht in
Halle.
Es hat die Mitstreiter in den Blotenhof nach Werther gezogen. Sich gegenseitig kennenlernen, ein Stück »Stiftung Ummeln« erleben sind zwei der Ziele."Wir wollten damals einen öffentlichen Treffpunkt schaffen, den sich jeder leisten kann und der im öffentlichen Raum und nicht in einer der Einrichtungen stattfindet", sagt Nora Wallach. Diese Grundmotivation führte vor vier Jahren die Mitarbeiter von Stodieks Hof, Odilia, Begegnungszentrum Bethel, Stiftung Hephata, Lebensbaum, wertkreis und MehrGenerationenHaus zusammen. Junge Leute aus Halle und Menschen mit Behinderung sollten sich - wirklich inklusiv - begegnen können. "Im Herbst 2012 bekam der Runde Tisch einen ersten Namen, wurde zu »Begegnung und Freizeit im Nordkreis Gütersloh«. Heute nennen sich die Beteiligten kurz »Arbeitskreis Inklusion«.
"Wir wollten für die Menschen, die wir unterstützen, ein Angebot machen, und da gaben wir alle etwas mit rein", erinnert sich Jochen Kehr vom Begegnungszentrum Bethel an die Anfänge. "Noch vor der Namensfindung gab es Gespräche mit der Stadt Halle, weil es unter anderem ein Musik-Café geben sollte", erinnert sich Simone Radke vom wertkreis. "Zunächst galt es einen Ort zu finden, an dem ein Tanzcafé oder Tanztreff stattfinden konnte", ergänzt Angelika Kuhlmann vom Laibach-Hof. Die Stadt Halle fand die Idee toll, wurde alsbald Kooperationspartner. Das Jugendzentrum in der Remise bot die passenden, barrierefreien Räumlichkeiten. Pädagoge Marcus Rauch konnte sich die Umsetzung hier gut vorstellen. "Konkret wurde es dann Anfang 2014, als die erste Disco und das erste Musikcafé tatsächlich angeboten wurden", führt Nora Wallach aus.
"Das Ganze", erinnert sie sich, "brauchte ein Jahr Vorlauf." Katrin Jostmeyer, heute beim Lebensbaum, brachte Erfahrungen aus früheren Tätigkeiten ein, als sie noch dem Team der »Disco Nummer 7« in der Neuen Schmiede in
Bielefeld-Bethel
angehört hatte. Inzwischen gibt es auch in Halle längst ein festes Team von zehn bis zwölf ehrenamtlichen Helfern. Vier Mal lud die Disco in der Remise inzwischen zum fröhlichen Tanzen ein.Jeden letzten Montag im Monat geht es seither beim Musikcafé in den Räumen des Jugendzentrums um das gemütliche Beisammensein, ums Plaudern, Kickern, Billard- oder Air-Hockeyspielen. "Wir haben inzwischen durchschnittlich 30 Besucher", erklärt Nora Wallach nicht ohne Stolz. "Uns ist es wichtig, dass es eine freiwillige Geschichte ist", betont Marcus Rauch. "Es gibt keine Vorgaben. Die Besucher können ihre Ideen einbringen und ihre Freizeit selbst gestalten."
"Auch beim Mitternachts-Fußball sind inzwischen einige der Besucher mit Handicap ganz selbstverständlich dabei", fügt Rauch an. "Da bewegt sich was und kommt voran." Im vergangenen Sommer wurde ein großes "Fest der Begegnung" gefeiert. Und auch am Haller Adventskalender hat man sich beteiligt.
Doch es geht dem Arbeitskreis nicht nur darum, neue Angebote zu schaffen. Auch der bessere Austausch über Bestehendes und eine bessere Vernetzung ist den Teilnehmenden wichtig. "Wenn es zum Karneval nach Harsewinkel oder in den Safari-Park nach Stukenbrock geht, macht es keinen Sinn, dass jede Einrichtung fünf freie Plätze im Bulli hat", erklärt Nora Wallach. "Es hat ein geschützes Inselleben bestanden", beschreibt es Angelika Kuhlmann. "Wir haben die Inseln zusammengeschoben - dadurch sind sie größer geworden."
"Manche Menschen mit Behinderung waren es gar nicht gewöhnt, ihre Freizeit selbst zu gestalten", ist Petra Kania aufgefallen. "Die Sicht auf Menschen mit Behinderung war lange die auf ein Kind. Wenn ich aber aus dem Kind-Status nicht herauswachse, werden mir bestimmte Bedürfnisse nicht zugestanden", so Jochen Kehr.
Doch auch ein anderer Aspekt spielt mit hinein: Für Menschen mit Behinderung, die in stationären Einrichtungen leben, ist die Gestaltung der Freizeit nicht zuletzt eine finanzielle Frage. Ihnen steht oft nur ein sehr kleines monatliches Budget, weit unterhalb eines Hartz-IV-Regelsatzes, zur Verfügung. Ein Budget, aus dem gleichzeitig aber auch vieles andere bestritten werden muss.
"Wir können einen kleinen Teil zur Inklusion beitragen und bauen Ängste ab - auch bei den nichtbehinderten Jugendlichen", ist Marcus Rauch überzeugt. Und doch wissen die Mitglieder des AK, wie Petra Kania: "Es muss sich in der Realität noch etwas in Sachen Inklusion tun." "Der Weg der Selbstverständlichkeit", formuliert es Martin Göbel, "ist die Richtschnur, an der ich mich dabei orientieren möchte."