Von Frank Jasper
Steinhagen. Die Esszimmergarnitur mit Glastisch gibt es für 285 Euro. Das ist dann aber auch eines der teuersten Produkte, die derzeit im Gebrauchtwarenkaufhaus M & M (steht für Möbel und mehr) zu haben sind. Für den Preis immer noch ein Schnäppchen - wenn einem denn 80er-Jahre-Design in Himmelblau gefällt. Es ist nicht das einzige Schätzchen, das irgendwie aus der Zeit gefallen scheint. Aber genau das macht den Reiz des Kaufhauses am Kirchplatz aus. Eine Expedition zu Wackeldackel, Blumenwiesen aus Plastik und Schrankwänden in Eiche rustikal.
Im August 2012 öffnete M & M im Haus Brinkmann seine Pforten. Nach der Insolvenz der GAB hatte die Gemeinde Steinhagen in der Arbeitslosenselbsthilfe Gütersloh e. V. (ash) einen neuen Partner für den Betrieb eines Gebrauchtwaren-Kaufhauses als Bildungs- und Beschäftigungsprojekt gefunden. Seitdem haben hier acht Langzeitarbeitslose jeweils eine zweijährige Beschäftigungsmaßnahme durchlaufen. Sie räumen ein, dekorieren, sortieren und verkaufen. "Wir geben ihnen hier eine Chance, in geschützter Atmosphäre einer geregelten Arbeit nachzugehen", umreißt Detlef Spilker das Konzept.
Der Standortleiter hat zusammen mit ash-Geschäftsführer Jürgen Delker in einer orangefarbenen Polstergarnitur Platz genommen, von denen es hier einige gibt. Vor ihnen auf dem Tisch steht eine getöpferte Schale, in der Röschen aus Seidenpapier und dunkle Weintrauben aus Kunststoff drapiert sind. Passt farblich ganz gut zum orangen Sofa. Der Spagat zwischen Kunst, Kitsch und Kuriosem gehört zum Konzept. Und alles findet tatsächlich seine Abnehmer, bestätigt Detlef Spilker auf Nachfrage.
Die Kundschaft setzt sich zu einer Hälfte aus Menschen zusammen, die aufs Geld schauen müssen und sich freuen, wenn sie ein komplettes Kaffeeservice für 20 Euro erhalten. Die andere Hälfte besteht aus Schnäppchenjägern und Sammlern, die mit großer Lust auf den 560 Quadratmetern auf Entdeckungstour gehen. "Die Leute wollen stöbern und haben Spaß daran", bringt es Jürgen Delker auf den Punkt.
Das Sortiment stammt zum Großteil aus Steinhagener Haushalten. Was für den Sperrmüll einfach zu schade ist, kann zu den Geschäftszeiten bei M & M abgegeben werden und findet hier meistens einen Abnehmer. "Große Gegenstände wie sperrige Möbel holen wir auch mit dem Sprinter ab", berichtet Detlef Spilker. "Manchmal müssen wir den Leuten aber auch eine Absage erteilen. Wenn die Sachen einfach schon zu abgenutzt sind; wir sind schließlich kein Entsorgungsunternehmen."
Weil das Kaufhaus nicht über Lagerflächen verfügt, sollten sich die Waren früher oder später verkaufen. Besonders gut funktioniert das zum Beispiel mit Schrankwänden. "Was hier steht, ist ja meistens noch in einem Top-Zustand", sagt Spilker.
Der dekorative Dreiecks-Tisch, Jahrgang 1906, stand hingegen lange im Schaufenster. "Jeder, der reinkam, sagte: Was für ein schicker Tisch. Aber wo soll ich den hinstellen?", erinnert sich Detlef Spilker. Letztlich fand das Schmuckstück doch noch einen Liebhaber, der sein Glück kaum fassen konnte.
Fünf Leute brauchte es, um ein altes Klavier aus einer Wohnung zu holen. "Das sollte eigentlich für 400 Euro weg. Dann kam ein Junge, der gerade mit Klavierunterricht begonnen hatte. Da sind wir der Familie noch mal mit dem Preis entgegengekommen", erzählt Spilker und man begreift, warum M & M auch unter der Bezeichnung Sozialkaufhaus firmiert.
Die Schallplattenabteilung besteht aus einem Regal. Groß genug, um blankes Entsetzen oder helle Verzückung hervorzurufen. Warten hier doch Boney M. neben Milva, David Bowie neben Chris de Burgh, Depeche Mode neben James Last auf neue Hörer. Was welche Gefühlsregungen auslöst, liegt natürlich im Auge des Betrachters.
Bekanntlich soll das Haus, in dem sich M & M befindet, zusammen mit dem angrenzenden Gebäudekomplex im Rahmen der Ortskernsanierung langfristig überplant werden. Beide Immobilien befinden sich in Besitz der Perus GmbH. "2015 läuft der Vertrag weiter, und man hat uns von Perus-Seite signalisiert, dass 2016 auch erst mal nichts passiert", sagt Detlef Spilker. Für Schnäppchenjäger eine gute Nachricht. Meint auch der Wackeldackel auf dem Tisch mit der roten Plastiktischdecke und nickt zustimmend.