Von Marc Uthmann
Halle.
Flächen werden immer knapper, schwankende Preise erschweren die Kalkulation, die betriebliche Zukunft steht oft in den Sternen: Heimische Landwirte müssen schwierige Rahmenbedingungen meistern. Das wurde bei der Mitgliederversammlung der Züchtervereinigung des Kreises Gütersloh deutlich. Doch gestern war ein Mann in den Gasthof Tatenhausen gekommen, der seinen 75 Zuhörern den Weg aus der Ungewissheit weisen wollte. Agrarberater Johann Kalverkamp empfahl vor allem den Milchbauern, Preisrisiken künftig abzusichern: und zwar an der Börse. Womit er erwartungsgemäß auf eine gehörige Portion Skepsis stieß.Kalverkamp, der als Berater für die VR Agrarberatung in Lingen tätig ist und sich weltweit auf den landwirtschaftlichen Börsen tummelt, warb bei den Landwirten dafür, sich auskömmliche Milchpreise künftig an der Börse zu sichern - und zwar bis zu 18 Monate im Voraus. Die Gründe, warum das nötig sei, lieferte der clevere Händler gleich mit.
Die Preisentwicklung
"Innerhalb eines Jahres sind die Milchpreise von 42 Cent je Liter auf 29 Cent abgesackt", berichtete Kalverkamp - und erzählte seinem leidgeprüften Publikum damit wahrlich nichts Neues. Damit sei auch der Deckungsbeitrag gesunken, den die Landwirte je Tier im Jahr erwirtschaften könnten: und zwar von 2400 auf gut 1000 Euro. Zu wenig, um die Zukunft eines Betriebes dauerhaft zu sichern. Dabei stünden die Zeichen weiterhin auf Sturm, so Kalverkamp: "Wir werden in den nächsten Jahren einen Strukturwandel erleben. Sie müssen zu den besten 50 Prozent der Produzenten gehören - dann wird Ihnen nichts passieren."
Risiken
Die Schwankungen des Milchpreises machten die Zukunftskalkulation für die Bauern so schwierig, so Kalverkamp. Bei Betrieben mit 120 Kühen etwa seien jährliche Ertragsschwankungen von 220 000 Euro möglich. "Der Markt ist einer Abfolge von Gier und Angst ausgesetzt", erklärte der Berater - bei hohen Preisen werde mit aller Macht produziert, bei niedrigen kochten die Milchbauern auf Sparflamme. "Diese Schwankungen können Sie absichern."
Sicherungsgeschäfte
Natürlich riet Johann Kalverkamp dazu, sich einen Berater und eine Bank zu suchen. Um sich einen auskömmlichen Milchpreis für lange Zeit - bis zu 18 Monate im Voraus - zu sichern. Doch er wies auf den großen Umfang der Geschäfte hin: mindestens 100 000 Kilogramm Milch. Werte, die viele der kleineren Betriebe (im Durchschnitt etwa 60 Kühe) so schnell nicht erreichen. Lösungen könnten hier eine Erzeugergemeinschaft oder Vertragsabschlüsse in größeren Zeitabständen sein.
Voraussetzungen
Wenn es an der Börse so einfach wäre, würden sich dort wohl längst alle Landwirte tummeln. Wie Johann Kalverkamp eingestehen musste, sind es allerdings erst 20 von 1000, die er und sein Team beraten haben. Es mag auch an den Voraussetzungen liegen. Die Landwirte müssen für Börsengeschäfte Sicherheiten vorweisen: 5000 Euro je 100 000 Kilogramm Milch. Und sie müssen die nötige Liquidität für die Abwicklung der Börsendeals bereitstellen. Schließlich sollten sie auf einen solchen Schritt strategisch vorbereitet sein. "Wissen Sie, wo Ihr Grenzpreis liegt?", fragte der Berater in die Runde. "Wie viel Sie also für den Liter Milch bekommen müssen, um Ihr Eigenkapital zu erhalten und liquide zu bleiben?" Keiner der Anwesenden konnte darauf mit »Ja« antworten. Der Börsenfachmann forderte die Landwirte auf, betriebliches Management zu betreiben und ihre Zahlen zu analysieren. Andernfalls mache auch der Gang an die Börse keinen Sinn.
Kritik
Die Landwirte hatten vor allem die Kehrseite der Medaille im Blick. "Wenn wir alle unsere Preisrisiken absichern - wer trägt dann die Verluste?", fragte etwa Gerd Meier. Hier konnte Kalverkamp nur auf andere Marktteilnehmer verweisen. Dass die Bauern mit ihrem Angebot an der Börse ein weiteres Absinken des Marktpreises verursachen könnten, glaubt der Berater nicht: "Zu einem bestimmten Preisniveau steigen immer Käufer ein." Dennoch war es dem Berater wichtig zu betonen, "dass der Börsenhandel kein Teufelswerk oder die Spekulation mit Lebensmitteln ist. Es geht nur um die Absicherung". Dass die Landwirte Interesse haben, ihre Risiken abzusichern, wurde deutlich - die intensive Diskussion zeigte jedoch: Viele Fragen sind noch offen.
Perspektiven
Die Preisunsicherheit ist ein Thema, das den 240 Mitglieder starken Züchterverband umtreibt. Das andere: knappe Flächen. "Wenn ich höre: »Die Wirtschaft muss wachsen«, empfinde ich das als Ohrfeige. Denn Wachstum braucht Fläche - gerade in der Landwirtschaft. Und hier gibt es für uns durch Autobahn und Gewerbeansiedlungen großes Konfliktpotenzial", sagte Friedrich-Wilhelm Temme, der Vorsitzende der Züchtervereinigung. Die ist seit ihrer Gründung 1998 (100 Mitglieder) übrigens kontinuierlich gewachsen.