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Das Recht auf Steinhäger

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Von Jonas Damme

Steinhagen. Brüssel ist weit weg. Wenn EU-Beauftragte mit der Wirtschaft über Freihandelsabkommen mit den USA sprechen, sind das nur vermeintlich abstrakte Probleme - dass sie sich ganz konkret auf unseren Alltag beziehen können, zeigt sich gegenwärtig jedoch mehr denn je: Informelle Mitteilungen aus den TTIP-Verhandlungen haben anklingen lassen, dass das Abkommen auch auf Kosten regionaler Spezialitäten gehen könnte. Dazu würde natürlich auch der Steinhäger gehören.

Bereits jetzt ist es so, dass traditionelle Brennereien aus Brasilien Steinhäger brennen dürfen, vorausgesetzt sie sind älter als die entsprechende EU-Rechtssprechung (das Haller Kreisblatt berichtete). Sollten sich die Befürchtungen von TTIP-Experten bewahrheiten, könnte diese EU-Regelung sogar endgültig kippen.

"Dann könnten Produkte mit demselben Namen genauso in den USA hergestellt werden", erklärt BUND-TTIP-Expertin Heike Moldenhauer. "Die Amerikaner könnten quasi den guten Namen kopieren, brauchten aber keine Rücksicht auf Qualitätsstandards nehmen."

In vielen deutschen Regionen regt sich gegenwärtig Unmut. Ob es nun Lübecker Marzipan ist, Spreewald-Gurken oder Aachener Printen, Hunderte deutsche Produkte sind regional und qualitativ geschützt. Die TTIP-Verhandlungen streben nun an, diesen Schutz als vorgeblichen Wettbewerbsnachteil für US-amerikanische Unternehmen abzuschaffen.

Bekannt wurde der Plan nur wegen einer unbedachten Äußerung von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU). "Wenn wir die Chancen eines freien Handels mit dem riesigen amerikanischen Markt nutzen wollen, können wir nicht mehr jede Wurst und jeden Käse als Spezialität schützen", hatte Schmidt in einem Gespräch mit dem Magazin Spiegel gesagt. Die EU-Regelung zum Schutz von regionalen Produkten stehe TTIP entgegen und sei "sehr bürokratisch".

Bereits seit einiger Zeit finden die TTIP-Verhandlungen statt, allerdings hinter geschlossenen Türen. "Das ganze Verfahren ist sehr intransparent", kritisiert auch Expertin Moldenhauer. "Die gegenwärtige kritische Diskussion ist aber sehr hilfreich, weil sie zeigt, dass das Problem auch mit dem Alltag zu tun hat."

Steinhäger ist eine »geschützte geografische Angabe« nach EU-Gütezeichen für regionale und traditionelle Spezialitäten. Solche Standards stehen bei den geheimen TTIP-Verhandlungen ebenso wie qualitative Mindeststandards oder die Möglichkeit Gen-Lebensmittel in Deutschland zu vermarkten zur Disposition.

Trotzdem gibt es auch Positives zu berichten: Da bei den EU-Verhandlungspartnern mittlerweile erkannt wurde, dass das Freihandelsabkommen nicht immer im Sinne heimischer Hersteller ist, bemüht man sich, Ausnahmeregelungen zu finden.

"Wir sind nun angeschrieben worden", berichtet Jan-Peter Bruns, Sprecher der Brennerei Schwarze und Schlichte. "Wir haben die Möglichkeit, bis Ende Februar eine technische Absicherung einzureichen und werden das auch machen." Sinn dieser Absicherung ist wiederum, die eigenen Absprachen der EU-Verhandler auszuhebeln. So ermöglicht ein Anhang der Spirituosen-Verordnung des Europäischen Parlaments möglicherweise, den Steinhäger auf anderem Wege schützen zu lassen. "Dort wird nach Möglichkeiten für eine Lücke für Traditionsspezialitäten gesucht."

Ob Steinhagen am Ende seinen Steinhäger wird behalten können, bleibt aber - genauso wie die gesamte TTIP-Regelung - vorerst offen.


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