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Lügen können Leben retten

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Von Uwe Pollmeier

Versmold.
"Der Hitlerjunge in mir kommt immer wieder zurück. Ich liebe ihn ja auch, er war doch ein Teil von mir" - Sätze, die die Schüler der 10. Klassen der Versmolder Realschule aufhorchen lassen. Es sind jedoch Worte fernab von sentimentalen Erinnerungen an die Nazizeit, sondern vielmehr mahnende Worte eines Holocaustüberlebenden, der seine Eltern im Konzentrationslager verlor. Sie stammen von Sally Perel, der als »Hitlerjunge Salomon« bekannt wurde und sich als strenggläubiger Jude vier Jahre lang der NS-Ideologie unterwarf und diese sogar als getarnter Hitlerjunge in sich aufsog.

"Ich möchte mit meinen Lesungen alle Jugendlichen gegen diese braune Gefahr impfen", sagt Perel, der bald seinen 90. Geburtstag feiert, aber nicht müde wird, die Jugend der Welt als Zeitzeuge aus erster Quelle über die Grausamkeiten des Hitler-Regimes aufzuklären.

Schließlich war er mittendrin. Als Jude täglich der Gefahr ausgesetzt, entdeckt und ins nächste Konzentrationslager gebracht zu werden. "Ich überlebte unter der Haut des Feindes", sagt der 89-Jährige. Zwei Stunden lang erzählt er von seinen Erlebnissen, im Raum ist es mucksmäuschenstille und die Schüler hängen an den Lippen Perels, der Deutschland als sein Mutterland bezeichnet, das er mit glücklichen Kinderjahren verbindet, die "mir ein Hitler niemals nehmen konnte".

"Hitler wusste zu begeistern, er war der begabteste Redner seiner Zeit", sagt Perel. Das deutsche Volk habe doch gehört, was er vorhat und man habe ihn trotzdem gewählt. Er stand somit vor der Wahl: sich ehrlich als Juden zu zeigen oder in die Rolle eines Nazi-Sympathisanten zu schlüpfen. Er entschied sich für die Lüge, zog eine Hitlerjugend-Uniform über, nannte sich fortan Josef Peters und verinnerlichte in einem Braunschweiger Internat die NS-Ideologie. "Ich lüge eigentlich nie. Aber ich hatte die Wahl zwischen Lüge und Tod", gesteht Perel. Für ihn stehe seitdem das Recht auf Leben über jeglicher Religion. "Das Menschenleben ist das einzig Heilige", sagt der 89-Jährige, der seit 1948 wieder in Israel lebt. "Die einzige Waffe, die mir damals zur Verfügung stand, war die Lüge", sagt Perel. Er sei schizophren gewesen, habe tagsüber als Hitlerjunge gelebt und nachts in seinen Träumen sei er wieder im Warschauer Ghetto gewesen.

Ein Besuch in Auschwitz vor über 30 Jahren habe ihm die Augen geöffnet. Bis dahin hatte er über sein Schicksal geschwiegen, seitdem sieht er sich als Botschafter für die nächsten Generationen. Vor 25 Jahren wurde sein Leben verfilmt, ausgezeichnet mit dem Golden Globe und nominiert für den Oscar. Ebenfalls 1990 erschien seine Autobiografie »Ich war Hitlerjunge Salomon«, die er im Anschluss an den 90-minütigen Vortrag signierte.


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