Von Anke Schneider
Werther.
In diesem Jahr feierte der Männergesangverein Liedertafel sein 150-jähriges Jubiläum - und überrascht gleich zu Jahresbeginn mit einer nahezu einzigartigen Idee. Statt die Geschichte des Chores in einer Festschrift darzulegen, präsentiert der MGV seine Entwicklung und sein Wirken auf einem Wandkalender.Schon im vergangenen Sommer haben sich die Vorstandsmitglieder angesichts des nahenden Jubiläumsjahres zusammengesetzt und sind in die Geschichte ihres Chores eingetaucht. Der Chorschrank und diverse Kisten auf Dachböden wurden gesichtet, um den Werdegang des Männergesangvereins dokumentieren zu können.
"Das habe ich mir wirklich einfacher vorgestellt", verdeutlicht Chorleiter und Vorsitzender Volker Schrewe, dass in 150 Jahren eine Menge an Dokumenten, Plakaten, Protokollbüchern, Plaketten, Pokalen und Liederbüchern zusammengekommen sind. Und immer schon habe offenbar das Singen im Vordergrund gestanden; die Bürokratie und das Ordnen von Dokumenten sei augenscheinlich Nebensache gewesen.
Gegründet worden ist der MGV Liedertafel 1865. Wann genau, ist im Nebel der Vergangenheit verschwunden. "Es gibt keine Gründungsurkunde", so Schrewe. Nur ein Bild, auf dem die Gründungsmitglieder zu sehen sind und auf dessen Rückseite das Gründungsjahr handschriftlich notiert wurde. In Jahrzehnte älteren Aufzeichnungen liest man, dass der MGV am 14. August im Hotel zur Rose gegründet worden sein soll.
Die Idee, statt einer Festschrift einen Kalender zu erstellen, kam vom Chorleiter selbst. "Eine Festschrift hat man nur einmal in der Hand, ein Kalender hängt das ganze Jahr", sagt Volker Schrewe. Zudem ließen sich mit einem Kalender die verschiedenen Aktivitäten und Konzerte der Sänger im Jahreslauf gut darstellen.
500 Exemplare des Jubiläumskalenders wurden inzwischen gedruckt, die zunächst an alle 220 aktiven und passiven Mitglieder verteilt werden. Die übrigen Kalender können zu einem Preis von sechs Euro bei den Sängern, aber auch in der Geschäftsstelle des Bankvereins an der Ravensberger Straße 23, der den Druck finanziell unterstützt hat, erworben werden.
Das Deckblatt zeigt eines der ersten Gruppenfotos der Liedertafel. Auf der Januar-Seite sind einzelne Fotos der 45 Gründungsmitglieder verewigt. "Das war die schwierigste Aufgabe", so Schrewe. Das Original sei stark beeinträchtigt gewesen, so dass das Foto jedes einzelnen Sängers abfotografiert und bearbeitet werden musste. Auf den Bildern finden sich viele Namen, die es auch heute noch in Werther gibt. "Leider stehen die Vornamen nicht dabei", bedauert der Chorleiter.
Im Februar sieht der Betrachter eine Szene aus den Feierlichkeiten zum 50-jährigen Jubiläum, auf dem März-Blatt ein Gruppenfoto des Sängerfestes 1925. Im April ein Preissingen, an dem die Sänger früher teilgenommen haben, zudem Medaillen von Preissingen in Dortmund, Stuttgart und Essen. Im Mai ist das traditionelle Maisingen dokumentiert, auf dem Juni-Blatt das ehemalige und ebenso traditionelle Blotenbergfest und im Juli eine Szene aus dem Festumzug anlässlich des Kreissängerfestes 1982.
Der August ist den geselligen Aktivitäten der Sänger gewidmet. Das Kalenderblatt zeigt Szenen von Wanderungen, die die Sänger unternommen haben und heute noch unternehmen.
Auch der September dokumentiert die Geselligkeit der Sänger. Aus verschiedenen Jahren sind Bilder von Ausflügen abgebildet. Auf dem Oktoberblatt finden sich dann Auszüge aus Konzerten der Sänger. Zudem sind die Zelter- und die Silcher-Plakette abgebildet, die dem MGV verliehen wurden. Beide Namen stehen für Sänger, von denen besondere Impulse zur Gründung von Gesangvereinen ausgingen: Der Berliner Maurermeister, Musiker und Direktor der Sing-Akademie zu Berlin, Carl Friedrich Zelter (1758 bis 1832), gründete 1809 die erste Berliner Liedertafel, und Friedrich Silcher aus Schnait wirkte als Musikdirektor an der Eberhard Karls Universität Tübingen, wo er die Tübinger Liedertafel begründete. Beide Männer sind auch als Komponisten und Arrangeure hervorgetreten.
Im November sieht man die Sänger bei den Volkstrauertagsfeiern, im Dezember schaut der Betrachter auf beeindruckende Bilder von Weihnachtskonzerten. Auf dem letzten Kalenderblatt sind schließlich alle Namen der aktiven, passiven und fördernden Mitglieder aufgeführt.
Der Jubiläumskalender ist jedoch nur der Anfang einer Reihe von Aktivitäten, die über das Jubiläumsjahr 2015 stattfinden sollen. Im Juni ist ein Jubiläumsfestakt im Schloss Werther geplant, im Oktober werden die Sänger ein großes Jubiläumskonzert in der Jacobikirche geben. Auch eine Ausstellung mit Dokumenten, Pokalen, Schildern, Liederbüchern und anderen Alltagsschnipseln der MGV-Ära soll es geben. In deren Rahmen werden auch Schätze wie das Original-Gründungsbild und die erste Fahne gezeigt. Volker Schrewe plant zudem ein Mitsing-Projekt, Menschen für das Singen zu begeistern und Nachwuchs für den Chor zu gewinnen. Zwar steht der MGV im Gegensatz zu vielen anderen Vereinen mit gut 30 aktiven Sängern noch auf sicheren Füßen - das Durchschnittsalter von 69 Jahren zeigt jedoch, dass Nachwuchs gebraucht wird.