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Auf den Unfall folgt Verbitterung

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Von Marc Uthmann
Halle. Dieser Tag lässt weder Nina Koske noch ihre Eltern bis heute los. Der Tag, an dem die junge Frau bei einem Ausflug mit dem Team des Haller Laibach-Hofs einen Unfall erlitt. Zwischen der Haller Betreuungseinrichtung für Behinderte und der Familie aus Steinhagen entbrannte nach dem Vorfall, bei dem Nina Koske schwere Verletzungen am Bein erlitt, ein heftiger Streit. Er gipfelte in der Kündigung des Betreuungsvertrages. Geblieben sind Bitterkeit, Vorwürfe und Fragen nach Verantwortung.
Nina Koske ist zu 50 Prozent geistig behindert. Bereits als Achtjährige kam sie auf den Laibach-Hof in den Haller Ortsteil Bokel und hat dort bis zum Sommer immerhin knapp 13 Jahre gelebt. "Nina war von allen auf dem Hof am längsten dabei", sagt Vater Marco Koske. Grundsätzlich stehe ab dem Alter von 20 Jahren der Wechsel in eine Erwachseneneinrichtung an - "aber da gibt es Übergangsphasen. Mit 22 oder 23 hätte sie wechseln sollen", so Koske. Doch mit dem Unfall vom Februar änderte sich vieles. Die Betreuer des Laibach-Hofs hatten mit einigen Bewohnern einen Ausflug zur Versmolder Kirmes »Sünne Peider« unternommen. Am Sonntagabend des 23. Februar befand sich die Gruppe gegen 17.30 Uhr auf dem Rückweg zum Bulli auf dem Parkplatz, als Nina in Höhe der Hausnummer 9 auf die Rothenfelder Straße lief und von einem Mercedes erfasst wurde. "Eine Gruppe war schon weiter vorne und Nina wollte hinterher", berichtet Mutter Christiane Koske. Immer noch sucht sie Zeugen für den Unfallhergang. Wer Beobachtungen gemacht hat, kann sich bei ihr unter ` (0 52 04) 92 16 45 melden. Nina Koske erlitt nach Aussage ihrer Eltern mehrere Brüche des Schien- und Wadenbeins. Nach Operation und Krankenhaus folgten zwei Monate Rollstuhl. Im Juli musste sie in einer Spezialklinik in Köln erneut operiert werden, weil die Knochen nicht richtig zusammenwuchsen. Das Ehepaar ist wütend. Es wirft dem Laibach-Hof vor, seine Tochter nach der Rückkehr aus dem Krankenhaus nicht ausreichend unterstützt zu haben. "Der Unfall ist in Obhut des Laibach-Hofs passiert - wir hätten erwartet, dass die Einrichtung sich mehr kümmert", sagt Marco Koske. "Es war eine 24-Stunden-Betreuung nötig, Babyphone und Klingel reichen nicht für jemanden, der nicht mobil ist und es vielleicht nachts nicht zum Klo schafft", nennt Marco Koske ein Beispiel aus seiner Sicht. Seine Frau behauptet, dass Nina zum Teil von Praktikanten und der Haushälterin betreut worden sei - selten von qualifiziertem Personal. Diese schweren Vorwürfe kann Angelika Kuhlmann nicht verstehen. Sie ist Leiterin des Laibach-Hofes in Trägerschaft des Vereins Odilia e. V.: "Natürlich wurde Nina fachlich korrekt versorgt - über das normale Maß hinaus. Unser Team hat eigens einen Dienst organisiert." Darüber hinaus sei die Betreuung durch qualifiziertes Personal gewährleistet gewesen. Die Koskes beklagen jedoch, dass der Laibach-Hof Druck auf die Familie ausgeübt habe, damit ihre Tochter möglichst schnell wieder in Vollzeit in ihre Arbeit beim Wertkreis in Künsebeck einsteige. "Das Team wollte die aufwendigere häusliche Betreuung einfach nicht mehr leisten", vermutet Christiane Koske. Denn bei einer Halbtagsstelle Ninas und zusätzlicher Therapie seien mehr Fahrten angefallen. Der Laibach-Hof habe immer wieder auf Atteste bestanden, die beweisen, dass ihre Tochter nicht voll arbeitsfähig sei und ansonsten mit Kündigung des Betreuungsverhältnisses gedroht. Auch das bestreitet Angelika Kuhlmann entschieden: "Wir handeln immer in Rücksprache mit den Ärzten, um die Betreuten richtig versorgen zu können. Natürlich haben wir uns bemüht, alle Informationen zu bekommen. Aber die Kommunikation hat nicht funktioniert." Immer wieder habe man den Kontakt mit den Eltern gesucht, Gesprächsangebote gemacht, Verständnis signalisiert - ohne Erfolg. Am 16. Juli kündigte Odilia e. V. das Betreuungsverhältnis - "weil wir gute Betreuung nur mit den notwendigen Informationen leisten können", so Kuhlmann. Die Koskes indes fühlten sich in einer schweren Situation unter Druck gesetzt. "Für uns war wichtig, dass es Nina besser geht", sagt Marco Koske. "Aber wir waren wohl unbequem und haben zu viele Forderungen gestellt", ergänzt seine Frau. Auch finanziell fühlt sich das Ehepaar alleingelassen. Auf 4000 bis 5000 Euro beziffert Marco Koske die zusätzlichen Kosten für unbezahlten Urlaub, Fahrten oder selbst bezahlte Therapien. Zwar habe die Krankenversicherung - Nina Koske ist über ihre Arbeit beim Wertkreis selbst krankenversichert - die Grundversorgung übernommen. Aber zusätzliche nötige Therapien wie Lymphdrainage oder eine ambulante Reha seien nicht finanziert worden. Die hätte nach Auffassung der Koskes eine Versicherung leisten müssen. "Erst auf anwaltliches Drängen unsererseits hat der Laibach-Hof seine Haftpflicht-Versicherung informiert. Die hat aber geblockt, weil die Einrichtung kein Verschulden an dem Unfall treffe", sagt Marco Koske. "Eine solche Einrichtung, die mit behinderten Kindern arbeitet, muss dafür doch extra unfallversichert sein." Auch diese Vorwürfe kann Angelika Kuhlmann nicht nachvollziehen: "Natürlich haben wir einen ausreichenden Versicherungsschutz. Sonst erhielten wir doch gar keine Betriebserlaubnis", sagt die Leiterin des Hofes und ergänzt: "Es gibt mit Blick auf die Versicherung keine rechtliche Auseinandersetzung." Selbst hatten die Koskes bislang ebenfalls keine private Unfallversicherung für ihre Tochter abgeschlossen. "Wir dachten, das sei nicht nötig, da sie über den Laibach-Hof abgesichert sei. Jetzt haben wir das nachgeholt", sagt Marco Koske. Seine Tochter lebt mittlerweile zu Hause und geht wieder ihrer Arbeit beim Wertkreis nach. "Sie macht Fortschritte, es geht ihr gut, daran arbeiten wir weiter", sagt Christiane Koske. Das Tischtuch zwischen dem Laibach-Hof und den Eltern ist jedoch zerschnitten. Angelika Kuhlmann bedauert das: "Nina hat lange hier gelebt, sie hat gern hier gelebt. Auch ein Abschied hat leider nicht funktioniert - so hätte es nicht enden müssen."

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