Von Alexander Heim
Borgholzhausen.
Ob sie gar heimlich, wenn die Uhr allabendlich Mitternacht geschlagen hat, Peter Tschaikowskys berühmte Suite hören? Oder auf ihren Stufen ganz vertieft in E.T.A. Hoffmans berühmtem Märchen »Nussknacker und Mäusekönig« lesen, das 1816 veröffentlicht wurde und später auch den Komponisten aus Russland inspirierte? Darüber ist nichts Genaues bekannt. Zeit hätten die 30 Nussknacker, die bei Heidelore Sünkel eine Bleibe gefunden haben, dafür schon. Im aktiven Dienst befindet sich keiner mehr von ihnen. Zu schade fände es ihre Gastgeberin, wenn sie sich an der Arbeit die Zähne ausbissen. Dann und wann allerdings bekommt die Garde Zuwachs. Nicht nur - aber vor allem - zur Weihnachtszeit.Seit mehr als zwölf Jahren hat sich Heidelore Sünkel dem Sammeln der stattlichen Helfer aus Holz verschrieben. Die Faszination für die 23 bis 55 Zentimeter hohen Figuren - sie schwelte schon länger in der Piumerin. "Als ich 1958 in der Lehre war, war so ein Nussknacker kaum erschwinglich", erinnert sie sich. "Aber da war die Liebe schon da." Bei Hilde Paulsmeyer an der Schulstraße, dort, wo heute Tierarzt Dr. Felix Bathe seine Praxis hat, hatte Heidelore Sünkel zunächst gelernt.
"Ich hatte eine gewisse Wertschätzung für diese Sachen", erinnert sie sich. Und wenn - stets nach Totensonntag - die Schaufenster für die Adventszeit mit der Weihnachtsdeko versehen wurden, "dann standen die Kinder an der großen Schaufensterscheibe und drückten sich tatsächlich die Nasen platt." "Man fühlte sich in der Adventszeit wirklich toll", erinnert sie sich gerne zurück. "Da wurde auch bei mir ein Grundstein gelegt."
Doch erst viele Jahre später, auf einem Hobbymarkt im Kreis Gütersloh, begegnete ihr der erste Nussknacker. "Im Hochsommer", weiß sie noch wie heute. "Mein Mann lachte sich kaputt." Doch die kleine Figur mit der blauen, norwegischen Tracht - sie hatte das Herz der zweifachen Mutter und Großmutter im Sturm erobert. "Das war mein Erster", bekräftigt Heidelore Sünkel. "Deshalb steht er auch heute noch in der ersten Reihe."
Längst ist es um ihn herum nicht mehr einsam auf der langen Treppe, die ins Obergeschoss führt. "Im Bekanntenkreis sprach es sich herum, dass man mir damit eine Freude machen kann", erzählt Heidelore Sünkel. "Auch mein Mann brachte mir ab und an einen Nussknacker von Ausflügen mit."
So haben im Laufe der vergangenen zwölf Jahre Nussknacker aus Düsseldorf, aus Rothenburg ob der Tauber oder aus dem österreichischen Salzburg ihren Weg in die Lebkuchenstadt gefunden. "Manche stammen original aus dem Erzgebirge", weiß die Piumerin. "Manche", räumt sie ein, "kommen auch aus China."
"Die Nussknacker haben eine gewisse Schönheit", findet sie. "Manche sind stramme Kerle. Einige haben ein grimmiges Gesicht, andere schauen freundlich." Kein Nussknacker ist dabei wie der andere. Gardeoffiziere stellen sie dar. Förster und Polizisten ebenso. Einer erinnert an Friedrich den Großen. "Der Kalif ist wohl der Älteste", vermutet sie.
"Ich würde keinen hernehmen, um Nüsse damit zu knacken. Dafür sind sie mir zu wertvoll. Sie sind gedacht für den ästhetischen Zweck, als Augenweide. Ich habe sie auch nicht wegen des antiquarischen Wertes gesammelt - sondern, weil sie mir gefallen. Ich finde das fantastisch: die Bemalung, die Gesichter, die liebevollen Details, etwa die Knöpfe an einer Jacke." "Wenn ich ein neues Stück finde, weiß ich: der ist noch nicht dabei, den kannst du mitnehmen."
Auch wenn ihr beruflicher Weg Heidelore Sünkel vom Geschäft Paulsmeyer weggeführt hat - die Tradition der Weihnachtsdeko nach Totensonntag ist ihr in Fleisch und Blut übergegangen. Und so defilieren die Nussknacker dann immer im Flur des Hauses. Gut sichtbar für Passanten, die mit offenen Augen ihrer Wege gehen. Und wenn dann, wie jüngst beim Weihnachtsmarkt, der Blick von Spaziergängern auf ihre Garde fällt und Menschen näher kommen, um die Sammlung zu bestaunen - dann geht Heidelore Sünkel das Herz auf.