Steinhagen.
Nach aktuellen Schätzungen leben rund 1,3 Millionen Menschen mit Demenz in Deutschland - Tendenz steigend. Während die Krankheitssymptome anfangs oft als unbedeutend abgetan werden, ist im fortgeschrittenen Stadium ein selbstständiges Leben kaum noch möglich. Bernd Meißnest, Chefarzt der Klinik für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie am LWL-Klinikum Gütersloh, wird am Tag der Selbsthilfegruppen, am Sonntag, 7. September, um 14 Uhr im Heimathaus einen Vortrag halten. Im Interview erklärt er Redakteur Jonas Damme bereits jetzt, wie es zu einer Demenz kommt, wie man sie erkennt und wie man damit umgehen sollte.Wie erkenne ich, wenn ein Angehöriger dement wird?
BERND MEißNEST: Das ist schwer. Veränderungen gibt es im Alter ja immer: Eingefahrene Wege werden immer wieder benutzt, das Lernen fällt schwerer, solche Dinge. Das ist alles noch normal.
Und wo beginnt die Krankheit?
MEIßNEST: Wenn es irgendwann über das normale Maß hinausgeht. Wenn jemand sonntags vor dem Supermarkt steht. Oder es gibt Probleme im Haushalt: Plötzlich wird nicht mehr gekocht. Oft finden die Kranken oder die Angehörigen selbst dafür dann aber auch Ausreden.
Haben Sie noch mehr Alltagsbeispiele?
MEIßNEST: Wenn der Betroffene sich ganz von seinen sozialen Kontakten verabschiedet, zum Beispiel vom Stammtisch. Oder wenn morgens die Rollläden nicht mehr wie vorher pünktlich um 7 Uhr hochgehen, sondern erst um 11 Uhr oder gar nicht. Oder derjenige läuft auf einmal ungepflegt herum. Da gibt es viele weitere Anzeichen.
Kann man es mit Fragen herausfinden?
MEIßNEST: Wenn ich nach dem Alter frage und der Andere nennt nur sein Geburtsdatum und fordert: Rechne es dir doch selbst aus. Dann kann man ja mal fragen: Welches Jahr haben wir denn und welchen Monat?
Und wie ist es mit der Eigenwahrnehmung?
MEIßNEST: Auch selbst kann man Demenz erkennen. Ich mache Fehler, werde deshalb permanent von anderen entlastet, habe Orientierungs- und Konzentrationsstörungen. Oder wenn ich oft Termine vertausche.
Wirkt sich Demenz auch auf die Persönlichkeit aus?
MEIßNEST: Ja. Allerdings muss man herausfinden: Welche Verhaltensweisen sind Teil der Demenz, welche gehören zur Persönlichkeit? Manche Menschen, die garstig waren, werden lammfromm oder umgekehrt. Da wissen wir aber noch nicht, warum es zu dieser Veränderung kommt.
Eine Heilung von Demenz ist gegenwärtig nicht möglich. Was bringt dann eine frühzeitige Diagnose überhaupt?
MEIßNEST: Sie ist gut, weil es unterschiedliche Formen der Krankheit gibt. Bei einer Demenz muss man auf die Gesamtkonstitution achten, weil das Risiko, dass sie sich verschlimmert, mit Begleiterkrankungen steigt. Begleiterkrankungen sind zum Beispiel Altersdiabetes und Bluthochdruck. Außerdem ist natürlich eine Linderung möglich.
Steigt die Gefahr, dement zu werden, mit dem Alter?
MEIßNEST: Nur weil dann die Lebenszeit steigt und somit mehr Zeit ist, in der man erkranken kann. Und natürlich weil das Risiko für Begleiterkrankungen oder einen Schlaganfall steigt. Aber auch Jüngere können an Demenz erkranken.
In vielen Zeitungen war zuletzt zu lesen, dass Vitamin-D-Mangel das Demenzrisiko erhöht. Stimmt das?
MEIßNEST: Da ist was dran, aber die Ursachen hängen natürlich von vielen Faktoren ab. Und so wird da regelmäßig eine neue Sau durch das Dorf getrieben. Es gab mal eine Studie, die herausgefunden haben wollte, dass Männer, die sich ihren Frauen unterwerfen, anfälliger sind. Und es wurden auch schon andere medizinische Wirkstoffe verkauft. Man sollte bedenken, dass da eine riesiger Markt hinterhängt. Und nach so einer Aussage boomt schnell der Verkauf von Vitamin-D-Präparaten.
Und würden Sie solche Präparate empfehlen?
MEIßNEST: Ich empfehle den Angehörigen lieber: Sparen Sie das Geld. Kümmern Sie sich stattdessen um eine gute Beschäftigung für den Kranken. Das ist wichtiger.
Wann gibt es eine Medizin, die Demenz heilt?
MEIßNEST: 1995 dachte man: In fünf Jahren haben wir die nötigen Tests und Lösungen. Mittlerweile glauben viele Experten nicht mehr an große Fortschritte in näherer Zukunft. Sicher ist auf jeden Fall: Wir werden nicht gesund ins Grab gehen. Auch unser Nervensystem wird älter, genauso wie der restliche Körper.
Letzte Frage: An wen wende ich mich als Betroffener oder als Angehöriger, wenn ich vermute, dass jemand erkrankt ist?
MEIßNEST: Zum Beispiel an die Pflegeberatungsstelle des Kreises (Gerontopsychiatrische Ambulanz, ` (0 52 41) 5 02 28 50). Insgesamt ist das Versorgungsangebot im Kreis Gütersloh sehr, sehr gut. Und es gelingt uns, viele Erkrankte ambulant zu versorgen, in den eigenen vier Wänden.