„Vor drei Tagen haben wir festgestellt, dass sich eine Halterung der Rohrleitung im Becken gelöst hat”, erklärt Klärwerksleiter Khosrow Ghobadi. „Das Becken zu leeren, um die Reparatur durchzuführen, würde mindestens drei Tage dauern und wohin sollten wir mit dem Klärschlamm?”, sagt Ghobadi. „Und auch betriebswirtschaftlich wäre das keine gute Lösung.”
Also wurde die Spezialfirma Wittmann Tauchen aus der Nähe von Hamburg beauftragt. „Wir tauchen in allem, was flüssig ist”, erklärt Walter Selk, mit 42 Berufsjahren der erfahrenste der drei Taucher. Sei es in Chemikalientanks, Unterwasserbaustellen, Wracks oder eben in Klärwerken. Für die Taucher, sagen sie recht lässig, mache das alles keinen Unterschied. Einen ganz kleinen gibt es aber offenbar doch. „In unserer Firma ist das Tauchen in der Kläranlage freiwillig; das muss niemand, der nicht möchte und sich vielleicht ekelt”, sagt Walter Selk.
Ekel vor den Fäkalienrückständen im Becken scheint Mathias Hering nicht zu kennen. „Ich kriege doch am wenigsten davon ab”, sagt er mit Verweis auf seinen Spezialanzug. Der ist nicht nur so dicht, dass er die Bakterien aus der Klärbrühe garantiert vom Körper des Tauchers fernhält, selbst für radioaktiv kontaminiertes Wasser ist der Anzug geeignet. Mit den Gewichten, die den Taucher nach unten ziehen, wiege der Anzug mindestens 40 Kilo und wird zudem permanent mit Luft gefüllt, erklärt Selk.
Nachdem der Taucher von seinen Kollegen für den Tauchgang präpariert wurde, taucht Mathias Hering ab. Die einzige Verbindung nach oben ist nun nur noch eine Sprechanlage, über die er seinen Kollegen genau beschreibt, was seine Hände im Klärbecken ertasten. Denn sehen kann Mathias Hering nichts - gar nichts. „Die Metallplatte liegt plan auf, da sind vier Schrauben, zwei davon scheinen locker zu sein”, meldet er über Funk nach oben, wo seine Kollegen und Khosrow Ghobadi ihm weitere Detailfragen stellen.
An einem langen Seil lässt Taucherkollege Sebastian Glaser einige Schraubenschlüssel in die Tiefe hinab, mit denen Mathis Hering - wieder im Blindflug - versucht, die Schrauben fester zu zurren. „Wenn er hochkommt, gibt er eine erste Prognose ab, was gemacht werden muss”, erklärt Ghobadi. „Ein Schlosserunternehmen, das wir für heute bestellt haben, würde dann mögliche Ersatzteile oder was auch immer benötigt wird, anfertigen und der Taucher würde diese dann im Becken wieder anbringen”, erläutert er die Abläufe.
Nur drei Unternehmen, die in Kläranlagen tauchen, gibt es in Deutschland. Eine zweijährige Ausbildung, die mit einer Prüfung vor der IHK abschließt, müssen die Industrietaucher absolvieren. Einige waren vorher Hobbytaucher, andere kommen wie Mathias Hering von der Marine. Der Klärwerkseinsatz scheint für ihn nichts Besonderes zu sein. „Hier im Becken geht es”, erklärt Walter Selk, „unangenehm wird es erst, wenn wir im Faulturm tauchen müssen, denn da herrschen Temperaturen von 42 Grad.”
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