Von Ekkehard Hufendiek
Halle.
Für Sigrid Schrader ist es ein Abschied unter Tränen. Das letzte Mal verlässt die 63-Jährige als Lehrerin im Dienst ihren Klassenraum. Ihr zu Ehren stehen die Schüler in der Grundschule Gartnisch in Zweierreihe, halten die Arme hoch und formen ein Spalier. Vom Obergeschoss führen sie so ihre Lehrerin und Konrektorin bis hinunter zum Haupteingang. Dort überreichen sie ein Wollknäuel und ein Buch mit selbst geschriebenen Geschichten.Was sie aus der Wolle mache, wisse sie noch nicht, sagt Schrader. Stricken im Ruhestand ist jedenfalls nicht das Einzige, was die Rentnerin in Zukunft plant.
Sie weint, lächelt und lacht - die Anteilnahme ihrer Kolleginnen, der Schüler und der Eltern wischt die Wehmut schnell weg. Auf dem Schulhof bei strahlendem Sonnenschein blickt Schrader zurück, während die Kinder die willkommene Unterrichtspause zum Toben nutzen: Eigentlich habe sie als Kind immer Kinderärztin werden wollen, da sie aber nicht so gut Blut sehen konnte, sei Schrader eben Grundschullehrerin geworden. Sie hatte Erdkunde, Deutsch und Hauswirtschaft in Bielefeld studiert, bevor sie 1975 ihre Arbeit an der Ampelschule in Werther aufnahm. Sie unterrichtete damals "alles", sagt sie, "sogar Schwimmen".
1998 wechselte sie dann an die Haller Grundschule Gartnisch, der sie bis gestern 16 Jahre lang die Treue hielt. Fast immer habe sie voll gearbeitet, also 28 Stunden in der Woche unterrichtet, hinzu kommt Vor- und Nachbearbeitung des Stoffes. Vor allem die Elefantenklasse, mit der sie in Gartnisch anfing und die sie mehr als zehn Jahre lang betreute, sei ihr dabei ans Herz gewachsen, erzählt sie.
"Was ich aber am meisten vermissen werde, sind die Gespräche morgens um Viertel nach sieben am Kopierer", sagt Schrader weiter. Überhaupt: "Die Kommunikation, das ist meins", stellt Schrader dabei die engen, freundschaftlichen Beziehungen zu ihren Kolleginnen heraus. Hilfreich sei dabei eine besondere Eigenschaft: "Ich kann viel reden", allerdings tue sie das ungerne vor vielen Fremden.
Da die künftige Ruheständlerin neben Stricken, Radfahren und Reisen als Hobby das Lesen angibt, wird sie demnächst in ihre Schule zurückkehren. Denn in der sogenannten »Vorlesezeit« wird ihre langjährige Erfahrung als Vorleserin gerne in Anspruch genommen. Dann wählen die Kinder Buchtitel aus und lauschen eine Schulstunde lang in gemütlicher Atmosphäre Schraders geübter Stimme.
Darüber hinaus mache sie zurzeit eine Ausbildung zur "Kräuterkundigen", erzählt Schrader. "Ich tue das für mich, weil ich lernen will, wie man Seife und Salben herstellt." Im September ist Prüfung. Vielleicht steht sie anschließend morgens um Viertel nach sieben noch einmal am Kopierer in der Grundschule Gartnisch und vervielfältigt Lehrmaterial zu Heilkräutern als Unterrichtsmaterial für ihre ehemaligen Kolleginnen.