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Wunschlos unglücklich

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Der Narr - er kommt in Person des im wahrsten Sinne des Wortes armen Seiler-Meisters Sebastian Faden (Martin Lasche) daher. Dass dieser aufgrund seines Schlafwandelns plötzlich im Zimmer von Hannerl (Birte Albrecht) auftaucht - der Auserwählten seines Gesellen Fabian Strick (Nick Maaß) - führt zu allerlei Komplikationen. Denn nicht genug, dass der Geselle ihm daraufhin Freundschaft, Verbundenheit und Mitarbeit kündigt. Auch Betty (Isabel Sagel), die Tochter der Marketenderin Frau Schnittling (Lisa Steinmann) will von da an nichts mehr wissen von »ihrem« Meister Faden. Just in diesem Moment und wie gerufen tauchen die »zwei Geister« in Fadens Leben auf. Sie versprechen ihm wohl gewogen zu blieben, so lange er stets nur das Notwendige, nicht aber das Überflüssige begehrt. Lord Wathfield (Philipp Fussy) nämlich nimmt Lord Howard (Maureen Welter) beim Wort. Schließlich will Howard ja auch Wathfields Tochter Malvina ehelichen. Da gilt es zunächst einmal in Sachen Ehre und Wette Wort zu halten. Auch, wenn dies bedeutet, dass Howard ein persönliches Besitztum nach dem anderen abhanden kommt. Egal, ob Uhr, Ring oder Schloss. Solange jedenfalls, bis Meister Faden doch einmal das Überflüssige begehren sollte. Das Schicksal will es jedoch, dass Faden sich - gerade dem Ruin entkommen - unsterblich in Emilie (Freya Müller), eine Tochter aus wirklich guten, aber ebenfalls verarmtem Hause, verliebt. Schnell steht fest: Das ist die Frau, die er heiraten will. Für sie bittet er um 10 000 Mark bei seinen guten Geistern und Gönnern. Und erhält auch diese als notwendig erachtete Summe. Doch mit seiner Ehe und der anspruchsvollen Frau an seiner Seite werden die Begehrlichkeiten immer größer. Bis Meister Faden den noblen Herren aus einer üblen Laune heraus befiehlt, die alten Zöpfe abzuscheiden. Plötzlich ist es vorbei mit aller Gunst. Und da sehen beide, sowohl Meister Faden als auch sein Geselle Strick, nur noch einen Ausweg aus ihrer zurückgekehrten Notlage: den Freitod. Nein, das sei verraten, soweit kommt es dann doch nicht bei der Inszenierung der Compagnie Charivari, der Theatertruppe der Universität
Bielefeld.
Doch ob die Versuchung des Glücks wirklich für alle Beteiligten gut ausgeht - davon muss man sich schon selbst ein Bild machen. An dramatischer Untermalung mangelt es der Aufführung jedenfalls in keinster Weise. Dafür ist mit Instrumental-Intermezzi auf Gitarre und Akkordeon ebenso gesorgt wie mit einigen Gesangspassagen. „Wir mussten ein Stück mit vielen Rollen finden, die nicht so winzig klein sind”, erklärt Freya Müller, wie die Wahl des Ensembles auf den Dichter Johann Nepomuk Nestroy fiel. Seit Januar haben die zwölf Studenten sich mit »Die beiden Nachtwandler« beschäftigt. Und sind damit nun auf Tournee: am 17. Juli auf der Burg Vlotho, am 18. Juli in der Uni Bielefeld, am 20. Juli in der Druckerei Bad Oeynhausen sowie am 21. Juli um 20 Uhr auf der Sparrenburg. Was »Die Glücksritter« in ein New York des schnellen Dollars versetzte, bei dem das Spiel an der Börse eine große Rolle spielt, erschuf Johann Nestroy in Zeiten der Transition. Die absolu-tistischen Herrscher hatten ausgedient. Demokratische Tendenzen und Unabhängigkeitsbestrebungen brachen sich ebenso Bahn wie die Industrialisierung. Keine Frage: da fällt es manchem nicht leicht, Schritt zu halten und alte Zöpfe abzuschneiden.

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