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Große Emotionen auf dem Kirchplatz

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Von Christiane Gerner ¥
Halle.
Die komödiantischen Aspekte wurden ganz klar im Himmel bedient: Der Erzengel Gabriel, den der renitente Komponist Bach von der Wolke der Musiker mit seinem Ausreiseantrag auf die Erde nach Halle um den Verstand brachte, und der Schutzengel Kevin, der die aktuelle Jugendkultur in die gediegene Heroenverklärung um den großen Meister einpflegte. So begann das große Schauspiel und so entließ es auch seine begeisterten Zuschauer in die Nacht. Dazwischen gab es ein Kaleidoskop von Szenen, aufgereiht wie auf einer kostbaren Perlenschnur. Die belegbaren historischen Begebenheiten des großen Johann Sebastian Bach waren kunstvoll zu einem ungeschminkten Lebenskreis zusammengefügt. Der Mann war nicht einfach. Nein, er war in vielen Aspekten ein uneinsichtiger Egoist und kein Menschenfreund. Daraus ergaben sich unzählige Stationen in abhängiger Beschäftigung an feudalistisch-geprägten Stätten in der Provinz. Geboren in Eisenach, als Waise beim Bruder in Ohrdruf, nach kurzer Erziehungszeit in Lüneburg, wurde aus Bach ein Lakai und Musiker am Hof in Sachsen-Weimar, danach Arnstadt, Mühlhausen, wieder Weimar und dann Hofkapellmeister in Anhalt-Köthen. Die längste Zeit dann von 1723 bis zu seinem Tod in Leipzig als Thomaner-Kantor. Zufrieden mit seinen Arbeitsbedingungen konnte er nie sein. Und trotzdem schuf er Werke von himmlischer Schönheit. Wenn auch mit einer Verzögerung von etlichen Jahrzehnten, dank der Wiedererweckung durch Felix Mendelssohn-Bartholdy. Vor allem in Halle, in Westfalen, auch wenn der himmlische Ausreise-Antrag eigentlich das Halle an der Saale meinte. Das Zusammenspiel von Profis wie Schauspieler Martin Neumann und Andreas Bentrup als Bach in verschiedenen Lebensphasen, Valentin Rössl als Schutzengel und Fürst Leopold sowie Kirsten Moritz als gestresster Erzengel Gabriel, Margaretha und Diener Jakob mit 17 ambitionierten Laiendarstellern wie - in tragenden Rollen Laura Kriese und Albrecht Glück - machten den ganz besonderen Reiz des opulenten Volkstheaters aus. Der Kinderchor der Bachkantorei und die reizenden Engelchen des Wichtelchores - warmherzig in Schach gehalten von Martina Hirsch - schwemmten große Sympathie des Publikums auf den Kirchplatz. Das Spektakel hatte etwas Verbindendes. Ohne der hohen Aufgabe von Historizität, Musikgeschichte und Verehrung aus dem Weg zu gehen, schaffte das Team um den Autor und Regisseur Hans-Peter Krüger eine Erdung der Bach-Tage in der Stadt und bei den Menschen. Die Bach-Tage sind in ihrem Jubiläumsjahr wirklich in Halle angekommen. Nichts über den Dingen Schwebendes, nichts Überhebliches und trotzdem der Aufgabe gerecht werdend. Chapeau, es ist gelungen. Natürlich gab es die lautesten Lacher bei «Gerry Weber« oder dem geklauten Mantel der Bürgermeisterin. Warum auch nicht? Doch die berührenden Momente gelangen, wenn es um die menschlichen Herausforderungen ging. Wie gehe ich mit Trauer um? Lasse ich meinen Kindern genügend Freiraum und liebevolle Begleitung angedeihen? Was macht ein praktizierender Musiker, wenn er erblindet? Was ist mit dem Weiterleben bei großen Niederlagen und öffentlicher Missachtung? Dank gilt allen, die den Mut hatten, dieses große Experiment auf die Bühne zu bringen. Die organisatorische Leiterin und Initiatorin Susanne Debour gehört neben allen zuvor Genannten auf jeden Fall dazu.

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