Versmold.
Sechs Wochen lang stand der Tornister in der Ecke, blieben die Schulbücher unberührt. Am heutigen Mittwoch muss der Wecker in Versmolder Kinderzimmern wieder pünktlich gestellt sein. Vorbei mit den Ferien. Das neue Schuljahr hat für die Lehrer indes bereits längst begonnen. Eine besondere Herausforderung bedeutete die Planung für Klaus Blenk und seine Kollegen, gilt es doch mit Real- und der Sekundarschule gleich zwei Schulformen unter einem Dach zu organisieren. Im Gespräch mit HK-Redakteurin Tasja Klusmeyer sprachen Blenk und seine Stellvertreterin Petra van Lück über das erste Jahr Sekundarschule, die Chancen und Schwierigkeiten des Systems - und über die Aufgaben der Zukunft.
Den Veränderungen in der Versmolder Schullandschaft sind Eltern mit Skepsis, Kritik, Bedenken, aber auch Neugier und großer Erwartung begegnet. Wie würden Sie die momentane Lage beschreiben?
Klaus Blenk: Das stimmt, viele Eltern sind mit Fragezeichen im Kopf gestartet. Inzwischen hören wir fast von allen Stellen, dass sich die Kinder hier wohlfühlen. Das ist die wichtigste Voraussetzung, damit Schule gut funktionieren kann.
Nach der langen Diskussion im Vorfeld - wie schnell hat sich Normalität im Schulalltag eingestellt?
Petra van Lück: In dem Augenblick, in dem die Schüler da waren. Aber natürlich befinden wir uns mit der neuen Schulform in einem Entwicklungsprozess. Es stehen jedes Jahr neue Entscheidungen an, vieles muss erst zusammenwachsen.
Blenk: Ich habe den Eindruck, dass die neuen Fünftklässler ihre Schule viel schneller angenommen haben, als es vorher bei Realschülern der Fall war. Schlichtweg, weil sie mehr Zeit hier verbringen.
Hat sich der verpflichtende Ganztag an drei Wochentagen also bewährt?
Blenk: Wir konnten die anfänglichen Bedenken vieler Eltern ausräumen. Sie berichten uns, dass die Kinder gut durch den Tag kommen. Das liegt vor allem an den veränderten Unterrichtsstrukturen und den Pausen.
Schüler unterschiedlicher Schulformen unter einem Dach - spielt das im Miteinander eine Rolle?
van Lück: Keine entscheidende. Die Schüler nehmen allerdings wahr, dass die einen mittags nach Hause gehen und Hausaufgaben machen müssen, und dass die anderen bis in den Nachmittag hinein hierbleiben, ohne Hausaufgaben zu bekommen. Unter Geschwistern wird das schon mal diskutiert.
Keine Hausaufgaben, das klingt nach Paradies.
Blenk: Was allerdings nicht heißt, dass die Schüler sich zu Hause nicht eigenständig etwas erarbeiten. Sie bereiten Referate vor, lesen eine Deutschlektüre oder lernen für die Klassenarbeit. Die Hausaufgaben im klassischen Sinn gibt es aber nicht mehr.
Schule findet also fast ausschließlich in der Schule statt. Bleiben die Schulranzen leer?
van Lück: Die Schüler bringen ihre Verpflegung mit, die Schulsachen können im Fach und in der Schublade bleiben.
Blenk: Das hat auch den Vorteil, dass wir als Lehrer viel mehr Einfluss auf die Ordnung haben. Am Fach sieht man sofort, wer strukturiert und wer eher unsortiert ist. Mit der neuen Schulform sind wir grundsätzlich näher an den Schülern.
Was meinen Sie damit?
van Lück: Der Unterricht beginnt um 8 Uhr mit Lernbüros, bereits eine Viertelstunde vorher haben die Kinder die Möglichkeit, sich in der Klasse zu treffen. Die meisten machen davon Gebrauch. Und auch wir Lehrer nutzen diese Zeit oft für Gespräche. Ähnlich ist es beim gemeinsamen Mittagessen in der Mensa, bei dem wir locker über alle möglichen Themen reden. Zum Abschluss der Woche ist zudem eine Gesprächseinheit in kleinen Gruppen über die Wochenarbeit fest im Stundenplan verankert.
Blenk: Die Ebene, auf der wir mit den Schülern arbeiten, ist eine andere. Wir können gezielter soziales Miteinander und Teamfähigkeit stärken. Dazu kommt die Schulsozialarbeit, die unverzichtbar geworden ist. Da geht es um Themen wie Konfliktfähigkeit oder das Verhalten in der Gruppe. Der Bedarf wird mit Zunahme der Sekundarschüler wachsen.
Geht es denn gar nicht mehr um schulische Leistungen?
van Lück: Beziehungsarbeit ist kolossal wichtig. Wir können dort entspannt lernen, wo wir uns wohlfühlen. Die Schüler merken, dass nicht nur die Leistung wichtig ist, sondern, dass wir an ihnen als Mensch Interesse haben. Dafür bietet die neue Schulform bessere Möglichkeiten.
Apropos Leistung. Ein wesentliches Element des Schulkonzeptes ist das lange gemeinsame Lernen. Eltern befürchteten, dass ihre Kinder nicht genügend gefördert würden, dass möglicherweise die Leistungsunterschiede zu groß seien. Nun gab’s die ersten Zeugnisse - mit welchem Ergebnis?
Blenk: Die Zeugnisse waren völlig im Schnitt, nicht anders als in den fünften Klassen der Realschule. Die Klassen in ihrer Struktur und Mischung sind absolut arbeitsfähig - mit allen unterschiedlichen Voraussetzungen und Fähigkeiten, die die Kinder mitbringen.
van Lück: Ich leite seit 1991 fast durchgängig fünfte und sechste Klassen. In dieser Zeit hatte ich niemals eine Klasse mit einheitlichem Niveau. Insofern ist das nichts Neues.
Eine neue Situation wird sich im Schuljahr 2015/2016 ergeben. Dann wechselt der erste GU-Jahrgang (Gemeinsamer Unterricht) von der Sonnenschule auf die weiterführende Schule. Ist man hier an der Sekundarschule in Sachen Inklusion so weit?
Blenk: Das wird sicher ein Arbeitsschwerpunkt bis zum nächsten Sommer sein. Es gibt bereits einige Ideen dazu, aber wir müssen nun genau schauen, wie wir was anbieten können. Inklusion sollte mit Konzept geschehen. Das ist unsere große Hausaufgabe für das neue Schuljahr.
Aber klar ist doch, dass hier vor Ort etwas entstehen muss. Für Kinder mit Förderbedarf, die nun die vierte Klasse der Regelschule besuchen, soll es ja irgendwie danach weitergehen.
Blenk: Die räumliche Ausstattung ist das eine. Da sind wir schon gut aufgestellt, wir hatten auch an der Realschule immer wieder Schüler mit körperlichen Beeinträchtigungen. Das wesentliche Problem ist das Personal. Staatliche Schulen bekommen Sonderpädagogen entsprechend der Schülerzahl zugewiesen. Wir als privater Träger sind für unser Personal allein verantwortlich. Wir freuen uns über jede Bewerbung von Förderschullehrern.
van Lück: Uns geht es schließlich darum, die Kinder nicht einfach irgendwie zu verwalten, sondern entsprechend ihrem Bedarf zu fördern. Alles andere wäre keine Inklusion. Deshalb müssen wir im Einzelfall schauen, was machbar für die Schule ist - im Interesse der Eltern und Kinder.
Blenk: Es wird immer Schüler geben, die sich nicht inklusiv beschulen lassen. Im Übrigen ist Inklusion nicht nur ein Thema für uns als Sekundarschule, sondern auch am Gymnasium. Kinder mit emotional-sozialem Förderschwerpunkt sind häufig hochintelligent.
Eine ganz andere Herausforderung ergibt sich sicherlich bei der Organisation zweier Schulen.
Blenk: Es sind viele Sachen doppelt zu erledigen, zum Beispiel Eltern- und Schulpflegschaften sowie Schulkonferenzen. Unser Kollegium umfasst 48 Kräfte, die an beiden Schulen eingesetzt werden. Die Lehrer müssen pendeln, das bedeutet natürlich eine höhere Belastung. Die Erstellung von Stundenplänen und Raumbelegung für zwei Standorte ist nicht einfacher geworden.
Da hätten Sie als Leiter von zwei Schulen doch schon genügend Aufgaben. Aber sie unterrichten darüber hinaus noch.
Blenk: Ich möchte wissen, was meine Kollegen tun. Ich bin seit 30 Jahren Lehrer, da hat sich einiges verändert - das war auch schon vor der neuen Schulform so und das wird immer so sein. Nur von meinem Schreibtisch aus würde ich von der Schulwirklichkeit nicht alles mitbekommen.