Werther.
Burkhard Riedel hat in seinen bisher 58 Lebensjahren vermutlich so viel erlebt, wie andere Menschen in zwei Leben nicht. In Costa Rica baute er mit Freunden ein Öko-Hotel auf, begleitete in Deutschland ein halbes Jahr lang eine Zirkusfamilie und unterstützt mit seinem Internetportal »Puravida.de« Menschen, die ihr Leben verändern wollen. Am kommenden Montag, 23. Februar, ist der Sozialwissenschaftler, Buchautor und Journalist zwischen 19.30 und 21.45 Uhr in der Grundschule Mühlenstraße zu Gast und spricht zum Thema »Reicher leben mit weniger Geld«. HK-Mitarbeiter Florian Gontek verriet er im Vorfeld der Volkshochschul-Veranstaltung, was so ein Lebensmodell bedeutet und wie interessant und beglückend es sein kann, sich fernab des Mainstreams zu bewegen.
Herr Riedel, als Schüler wollten Sie Zootierarzt werden. Letztendlich wurden Sie Journalist und Chefredakteur eines Verlages, gingen dann nach Costa Rica, um dort mit Freunden 14 Hektar einer Halbinsel zu kaufen und mit einem Öko-Hotel zu bebauen. Vom Beamtensohn zum Weltenbummler - ein ungewöhnlicher Weg. Erzählen Sie.
BURKHARD RIEDEL: Die Ausgangssituation war wohl eine, die viele selbst kennen: Ich hatte einfach mehr als nur ein Interesse. Mit viel Vorbereitung und Praktika in mehreren Zoos und dem begonnenen Tiermedizin-Studium in Berlin habe ich mich erst für den Weg des Zootierarztes entschieden, weil mich Tiere und Natur schon immer fasziniert haben. Dieser endete dann jedoch nach dem zweiten Semester in der Erkenntnis, dass mir die naturwissenschaftlichen Grundlagenfächer zu viele Probleme bereiteten und der Beruf des Zootierarztes doch ein sehr spezieller mit schwierigen Berufsaussichten ist. Mein Plan B - das zweite Interesse - waren vor allem Neugier und Schreiben. Diese Besinnung auf meine Stärken führte mich dann in die ganz klassische journalistische Ausbildung mit Volontariat, Tageszeitung, Magazinredaktion und einem Posten als Chefredakteur eines Verlages. Diesen Job habe ich dann tatsächlich ohne jede Not aufgegeben.
Das müssen Sie näher erläutern.
RIEDEL: Ja, auch im Verlag hat diese Entscheidung damals niemand so recht verstanden. Es zeichnete sich jedoch ein spannendes Projekt ab - Freunde von mir hatten einen Reiseveranstalter in Deutschland, der sich auf Mittelamerika spezialisiert hatte. Sie erzählten mir von einer tollen Halbinsel, Osa in Costa Rica, damals noch völlig ohne Unterkünfte für Naturtouristen. Wir, also meine Freunde, meine Lebenspartnerin und ich, entschlossen uns, diese Herbergen aufzubauen und umschichtig dort zu bleiben. Ich war der Einzige, der dafür seinen Job komplett geschmissen hat. Schnell wurde mir klar, dieses Projekt hat ganz viele Merkmale, die für dieses kreative Leben - das mein Thema geworden ist - typisch sind. So etwas von null an selbst zu gestalten war einfach extrem erfüllend. Wir arbeiteten dort nachhaltig, versuchten mit unserem Projekt die Abholzung von bedrohten Sekundärwäldern zu verhindern und mit den Einnahmen aus unserem Projekt die Natur und Artenvielfalt dort zu erhalten. Es war ein Gemeinschaftsprojekt, das auch viel mit Problemlösung, Pionierarbeit und unternehmerischem Geschick zu tun hatte: In sich war das Projekt kostenneutral und ich, der die meiste Zeit während der zwölf Jahre dort war, lebte auf der paradiesischen Halbinsel komplett umsonst. Also durchaus schon ein reicheres Leben mit weniger Geld.
Aus dieser Zeit stammt auch die Idee für Ihr Internetportal »Puravida.de«. Was ist der Gedanke dahinter?
RIEDEL: Wir sahen, dass etliche unserer Gäste nicht nur einen schönen Natur-Urlaub verbringen wollten, sondern vor allem an unserem Lebensmodell Interesse fanden. Sie fragten nach: Organisation, Familie, Job, Auskommen - " wie ist das zu machen?". Wir merkten schnell, dass wir - anders als geplant - ein Modell wurden, an dem sich viele Menschen orientieren wollten. Ich begriff, wie viel Potenzial darin steckt, den Menschen Wege aus der engen, beruflichen Schmalspur hin zu einem reicheren Leben - einer Work-Life-Balance - aufzuzeigen. Also begann ich systematisch zu recherchieren, Kontaktnetzwerke aufzubauen, aus den gewonnenen Erfahrungen meine ersten Bücher zu schreiben und »Puravida.de« zu gründen.
»Reicher leben mit weniger Geld: Die Kunst des kreativen Lebensmanagements« ist eines Ihrer Bücher und auch der Titel Ihres Programms am kommenden Montag, das aufgrund der großen Nachfrage in die Grundschule Mühlenstraße verlegt wurde. Was dürfen die Besucher erwarten?
RIEDEL: Es wird konkret durchgerechnete Beispiele geben, daher wäre es mir sehr lieb, wenn die Besucher auch einen Taschenrechner mitbringen würden. Sie werden feststellen, dass man Auszeiten zur Wiedergewinnung seiner eigenen Lebensbalance tatsächlich komplett refinanzieren und am Ende sogar mit einem finanziellen Plus abschließen kann. Da kommen viele Faktoren zusammen: gegen Kost und Unterkunft gratis irgendwo mitarbeiten, die Wohnung zwischenvermieten, mit dem richtigen Timing Steuern sparen. Es geht auch darum, sich im Leben gegen Krisen und Sackgassen richtig zu immunisieren. Auf dem Bankkonto gibt es ja aktuell null Zinsen, also überhaupt keine Rendite mehr. Ich möchte aufzeigen, dass die schönste Rendite eine ganz andere ist - nämlich ein Plus an bereichernden Lebenserfahrungen.
Im vergangenen Sommer haben Sie den »Circus Henry« über sechs Monate begleitet: Zelte mit aufgebaut, Transporte gefahren, mit Behörden verhandelt, den Zirkuskindern bei ihren Hausaufgaben geholfen und im roten Frack die Vorstellungen moderiert. Warum?
RIEDEL: Zirkus ist eine total andere Welt, exotisch, aber mitten in Deutschland. Die Zirkusfamilie hat mich wunderbar aufgenommen und auch die Tiere, die dort leben - das war mir sehr wichtig - hatten geräumige Ausläufe und ein großes Stallzelt. Ich fand es faszinierend, in diese Welt einzutauchen, mit ihrer jahrhundertlangen Tradition und ungewisser Zukunft. Ich hatte hohe Erwartungen an die Andersartigkeit dieses Lebens, aber diese wurden noch übertroffen: es war so bizarr, schön und sympathisch, aber gleichsam auch hart. Die enorme Risikobereitschaft, die die Menschen in diesem Beruf Tag für Tag gehen, hat mich zutiefst beeindruckt. Ich habe für meine Hilfe kein Geld bekommen, aber freie Unterkunft in einem Wohnwagen erhalten. Dafür habe ich aber meine eigene Wohnung zwischenvermietet - dadurch war diese spannende Zeit für mich wiederum kostenneutral.
Glauben Sie, dass Sie die Menschen, die am Montagabend zu Ihrer Veranstaltung kommen, direkt zu einem Lebenswandel bewegen können, oder ist das ein Prozess, der mehr Zeit benötigt?
RIEDEL: Ich werde am Montag gleich klarstellen, dass ich keinesfalls missionieren möchte. Wenn Menschen kommen, die sagen: "Ich bin rundum zufrieden mit meinem Leben", dann ist das wunderbar. Ihnen möchte ich überhaupt nicht einreden, dass in ihrem Leben etwas fehlt. Was ich machen kann ist, meine Erfahrungen aus 25 Jahren und über 500 Begegnungen mit kreativen Lebenskünstlern, die ich begleitet habe, weiterzugeben. Und zwar mit allen Illusionen und Risiken, die diese Menschen verkannt haben, aber auch die Punkte zu zeigen, die all diese Menschen glücklich, zufrieden und gelassen gemacht haben. Da kann es schon sein, dass so ein Abend einen Anstoß gibt, etwas zu verändern. Vor allem wenn man hört, dass es ganz einfach sein kann, wenn man nur ein paar Grundregeln und Erfahrungen berücksichtigt, die andere Menschen vor einem gemacht haben.