Schon mit dem lautmalerischen Auftakt-Chor »Herr, unser Herrscher« ergaben sich mystische Passagen, besonders den tragenden Chor-Männerstimmen sei Dank. Mutig stieg der junge Tenor Tilman Lichdi sofort in die erfolgreiche Zwiesprache als Evangelist mit Jesus, überzeugend interpretiert von Ekkehard Abele. Beide Solisten bewältigten die mehrfach besetzten Partien fast makellos. Der große Johann Sebastian Bach bevorzugte in seiner Aufführungspraxis ebenfalls die einfache Besetzung.
Eike Tiedemanns schaffte mit ihrer melodiösen Altstimme beides, Botschaft und Wohlklang. Die frühen Passionsstationen im ersten Teil ließen auch Veronika Winter Raum für eine erste, flehende Bitte »Ich lasse dich nicht, mein Leben, mein Licht«. Der bekannte Choral »Wer hat dich so geschlagen« wies den Weg zur Verleugnungstat.
Die ganze Dramatik der dreifachen Verleugnung durch Jesu Lieblingsjünger Petrus schaffte allen Interpreten Raum für ein großartiges Zusammenspiel, inklusive der beiden Solisten aus dem Chor - eng angelehnt an die Evangelien-Texte des Johannes, Kapitel 18 und 19. Die ausgeliehenen Worte aus dem Matthäusevangelium wie das »Weinen des Petrus« gaben Lichdi die Vorlage für ein himmelsgleiches Arioso in seinem »Ach, mein Sinn«.
Chor, Instrumentalisten und beide Männerstimmen führten konsequent durch die Pilatus-Szene. Bis zum »Ich finde keine Schuld an ihm« gab es für alle Akteure dramatische Momente zu inszenieren. Die sich anschließenden Bass- und Tenor-Arien erzählten - wunderbar lyrisch von »Himmelschlüsselblumen und Regenbogen«. Durch das gesamte Kreuzigungsgeschehen blitzte die ungeheure Präsenz der Choristen, die sich ganz auf Martin Riekers Dirigat verließen.
Was für eine tiefe Traurigkeit transportierte Eike Tiedemanns in ihrer Arie »Es ist vollbracht!«. Mit der bewegend-gefühlvollen Sopran-Arie »Zerfließe, mein Herze, in Fluten der Zähren« öffnete Veronika Winter endgültig die Haller Herzen. Nach gut zwei Stunden erlöste der Schlusschoral »Ach, Herr, lass dein lieb Engelein« die fast 500 Zuhörer aus ihrer tiefen Ergriffenheit. Es dauerte einen langen Moment, dann brandete minutenlanger Applaus als Dank für Musik und Botschaft auf.
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