Rund 70 Besucher kamen zur Vernissage am Sonntagmorgen ins Rathaus. Die meisten hatten auch schon den bewegenden Liederabend am Freitag mit erlebt. Alle waren berührt vom Leben der Alma Rosé, die im April 1944 im KZ Auschwitz starb.
„Heidi Kommerell ist eine so begnadete Entdeckerin und Recherche-Fachfrau, wenn es um vergessene Künstlerinnen geht”, gestand die Malerin, dass sie sich schon seit 20 Jahren ein gemeinsames Projekt gewünscht hatte. „Die Biografie der Alma Rosé hat uns beide gepackt”, erinnerten sich Berning-Tournier und Kommerell in einem die Vernissage eröffnenden »Werkstattgespräch«.
Der ausgestellte Tusche-Zyklus gliedert sich in zwei Hälften: Anhand von Fotos aus dem gut erhaltenen Nachlass der Alma Rosé bis zu ihrer Flucht nach London hat sich Michaela Berning-Tournier von Fotomaterial inspirieren lassen. „Danach entspringt alles meiner Phantasie: Untertauchen, Verhaftung, Deportation nach Auschwitz, Gründung des Mädchenorches-ters bis hin zu Almas Tod”.
Die Bilder seien wie im Rausch entstanden, so die Zeichnerin. Dabei war das große Format eine echte Herausforderung: „Die Technik ist sehr anspruchsvoll und verzeiht keinen Fehler. Weil die Feder oft zu fein war, habe ich mit der Pipette gearbeitet. Die dunklen, düsteren Farben dokumentieren den Wahnsinn dieses Menschenlebens - von der gefeierten Geigerin im mondänen und liberalen Wien bis hin zum Grauen in Auschwitz.”
Heidi Kommerell versuchte ihre Leidenschaft als Entdeckerin von vergessenen Künstlerinnen zu beschreiben: „Ich wollte immer etwas aufschlitzen, Gefühle herausholen, für das, was passiert ist. Ich bin ständig auf der Suche nach angemessenen Formen.”
Nachdem Alma Rosé auf ihrer Flucht vor den Nazis in Frankreich verhaftet wurde, deportierte man sie im Sommer 1943 nach Auschwitz. Bei ihrer Ankunft kam sie in den berüchtigten Block 10. Dort experimentierte Dr. Mengele. Nach demütigender Tätowierung und Rasur brachte Alma den Mut auf, den endscheidenden Satz zu sagen: „Ich verlange nach einer Geige!” Das hätte auch ihr Todesurteil bedeuten können.
Doch die weibliche Lagerleitung wollte ein eigenes Orches-ter und bestimmte Alma Rosé zur Gründerin. „Wenn es Dr. Mengele ‚nach getaner Arbeit‘ nach Kultur verlangte, mussten die jungen Frauen für ihn ein »Ave Maria« spielen”, gab Berning-Tournier aberwitzige Einblicke in den Lageralltag.
„Ohne sie hätte niemand von uns überlebt”, beschreibt Anita Lasker-Wallfisch, die Cellistin im Mädchenorchester, die enorme Leistung der Alma Rosé in Auschwitz. Mit Strenge und Disziplin entwickelte sie das Amateurorchester zu einem angesehenen Klangkörper, der zu Hinrichtungen oder Lagerappellen spielen musste. So gelang es ihr, viele Frauen vor dem sicheren Tod zu retten. Zwei der Musikerinnen leben heute noch in England und Hamburg.
Seit 2012 stecken die beiden Künstlerinnen viel Kraft in das Projekt, Leben und Sterben von Alma Rosé wieder ins allgemeine Bewusstsein zu rücken - und das öffentliche Interesse gibt ihnen Recht. Nach dem Liederabend und der Ausstellung in Borgholzhausen sind schon weitere Stationen geplant: in Bad Oeynhausen, der Kulturkirche in Bremen und dem jüdischen Museum in Rendsburg. Im Jahr 2015 werden Bonn, Lübeck und Berlin folgen.
Dafür haben sie unterschiedliche Projektbausteine vorbereitet. Neben dem Liederabend am Flügel mit Gesang werden biografische Lesungen und möglicherweise Tanz sowie die Projektionen der Tusche-Werke angeboten. „Wir wollten uns auf die unterschiedlichen Möglichkeiten von Veranstaltern einstellen können”, erklären sie ihre Herangehensweise.
Die Ausstellung ist bis zum 24. Februar zu den Öffnungszeiten des Rathauses zu sehen. (Christiane Gerner)
↧