Von Anja Hanneforth
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Werther.
Es wird eine schwierige Entscheidung und eine, vor der das Presbyterium der evangelischen Kirchengemeinde noch nie stand: Soll die Stundenglocke der St. Jacobikirche von 22 Uhr abends bis 7 Uhr morgens schlagen oder nicht? - Ein Anwohner hatte in einem Schreiben an die Kirchengemeinde gefordert, dass die Glocke schweigen möge, da er sich in seiner Nachtruhe gestört sieht. Nun haben die Bürger Gelegenheit, zum Thema Stellung zu beziehen. „Denn wir wollen dies nicht über die Köpfe der Wertheraner hinweg entscheiden”, betont Pfarrer Holger Hanke. Noch bis zum 8. Juli haben die Bürger Zeit, ihre Ansichten kundzutun. Dann kommt das Gremium zu seiner nächsten Sitzung zusammen.
Zwei Glocken sind es, außen und hoch oben am Kirchturm angebracht, die mit ihrem Geläut die Uhrzeit bekannt geben. Die hellere Viertelglocke schlägt einmal zu jeder Viertelstunde kurz an, die tiefere Stundenglocke entsprechend der Uhrzeit zu jeder vollen Stunde. Eine Tradition, die weit über 100 Jahre besteht und über Jahrzehnte niemand in Frage gestellt hat. Man war daran gewöhnt, die meisten Menschen nehmen das Geläut gar nicht mehr wahr. Viele finden es sogar schön, entnimmt Pfarrer Holger Hanke den ersten Einsendungen, die dazu im Gemeindebüro eingegangen sind.
„So schrieb uns jemand, der selbst nicht in Hörweite der Glocken wohnt, dass er lange Zeit seine Mutter im Altenheim besucht habe. Er hätte an ihrem Bett gesessen und das Stundengeläut vor allem in den Abendstunden als schön und auf eine gewisse Weise beruhigend empfunden.”
Eine Aussage, die Pfarrer Hanke als Vorsitzender des Presbyteriums genauso in die Überlegungen einbeziehen wird wie Kritik, dass die Glocken nerven, vor allem eben nachts, wenn man versucht zu schlafen.
„Das Stundengeläut stammt aus einer Zeit, da niemand zu Hause eine Uhr besaß”, sagt Hanke. Das sei natürlich heute anders; jeder hätte eine Armbanduhr, ein Handy, einen Radiowecker und sonstige Uhren. Ginge es also allein um die Bekanntgabe der Zeit, könnte man sicher auf das nächtliche Schlagen der Glocken verzichten.
„Doch hier spielen auch emotionale und historische Aspekte hinein”, schildert der Pfarrer den komplexen Sachverhalt. Das Stundengeläut gehöre für viele Bürger einfach zu Werther, sei eine Tradition, die mit vielen Befindlichkeiten besetzt und damit wert sei, darüber vor deren potenzieller Aufgabe zu sprechen. Als Beispiel nennt Hanke die Silvesternacht, in der viele Bürger darauf warten würden, dass die Glocken das neue Jahr einläuteten. „Etwas, dass es mit der neuen Nachtruhe möglicherweise nicht mehr geben würde.” Andererseits könnte die Aufgabe des nächtlichen Geläuts auch ein „Akt der Nächstenliebe” sein, wie Hanke es ausdrückt, etwas, mit dem man vielen Bürgern vielleicht entgegenkäme.
Pfarrer Holger Hanke hat sich im Vorfeld der Diskussionen in den umliegenden Gemeinden umgehört. Und herausgefunden, dass zum Beispiel in Halle, Borgholzhausen, Dornberg, Spenge und Neuenkirchen die Stundenglocke auch nachts schlägt. „Das allein soll aber kein Grund sein, es auch in Werther so zu halten”, betont er. Und spricht allein für sich, wenn er erzählt, dass er eine Weile in Thüringen gelebt hat. Da hätte es kein nächtliches Stundengeläut gegeben. „Als ich dann nach Werther zurückgekehrt bin, fand ich das Geläut von St. Jacobi richtig schön. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.”