Als Heinrich Siemens (77) und Hans Jürgen »Tommy« Quest (78) sich erkennen, blitzt ein Lächeln in die Gesichter der beiden Männer, die früher Spielkameraden waren. Am 4. November des Jahres 1945, der Krieg war seit etwa einem halben Jahr beendet, spielten beide Kinder Fußball, wie so oft in damals trister Nachkriegszeit. Flugzeug-abstürze waren für die beiden Jungen nichts Neues. Nicht während des Krieges, aber auch danach, geschahen Unglücke wie diese häufiger. Trotzdem. Jenen Tag, der jetzt über 68 Jahre her ist, haben alle fünf Zeitzeugen in besonderer Erinnerung.
Auch Kate Harling, die an diesem Tag ihren Vater Edward, genannt »Ted«, verlor. Harling, die heute in der Bay Area San Franciscos lebt und vier Kinder und 13 Enkelkinder hat, war damals drei Jahre alt. „Ich hatte einen sehr engen Kontakt zu meinem Vater”, sagt sie. „Wir waren über das Herz, aber auch über den Körper miteinander verbunden.” Sie erzählt die Geschichte ihres Vaters, dem begeisterten Piloten, der 1939 zur »Air Force« kam, um Transportflugzeuge zu steuern und U-Boote zu patrouillieren. Die Maschine, die er am 4. November 1945 gemeinsam mit Donald Forest Caldwell und Norbert Davis Roche flog, war alt und überholt - die Ladung von 39 Kartons Penicillin zu schwer. Sein Ziel Warschau sollte er nie erreichen. Es war der zweite von vier Flügen, mit denen insgesamt fünfeinhalb Tonnen des lebenswichtigen Penicillins in das von einer Epidemie geplagte Polen gebracht werden sollten. Über der Egge zerschellte der ehemalige amerikanische Flieger, nahe des ehemaligen Kottens Marquardt. Das jähe Ende einer humanitären Mission.
„Ich kann mich noch genau daran erinnern, es war ein stotternder Motor”, blickt Hans Jürgen Quest zurück. Heinrich Siemens pflichtet ihm bei: Die Maschine habe schon früh Motor und Flügel verloren, ehe sie in einer Mulde zerschellt ist. Damit widerlegen beide die Version seitens der kanadischen Regierung. Offiziell wird nämlich die schlechte Witterung für den Tiefflug der Maschine verantwortlich gemacht, die sich schließlich in den Baumwipfeln verfangen habe und so abgestürzt sei.
Für Harling und Caldwell sind das neue Informationen, die sie über Jahrzehnte gesucht haben. „Für mich ist das auch eine Reise, um mich von meinem Vater zu verabschieden, den ich nie hatte”, sagt Donald Caldwell.
Bei der anschließenden Besichtigung der Unfallstelle, gemächlichen Schrittes etwa 20 Minuten vom »Rossini« entfernt, gibt es indes Ungereimtheiten unter den Zeitzeugen, wo er denn genau war, der besagte Unglücksort. Der Eggeberger Martin Surmann, damals 18 Jahre alt, vermutet den Absturzort etwas weiter unten. Hans Jürgen Quest und Heinrich Siemens auf einem kleinen Hügel stehend, sind sich „hundertprozentig” sicher, dass es dort gewesen sein muss.
Kate Harling und Donald Caldwell können der Diskussion nicht folgen, beide sprechen nur Englisch. Für sie zählt der Moment, dieser Augenblick, einmal an dem Ort zu sein, wo sie vor 68 Jahren zwei geliebte Menschen verloren haben und sich darüber auszutauschen - mehr zu erfahren. „Das erleichtert den Kummer”, erklärt Kate Harling und weint. Es sind Tränen der Trauer - und der Heilung, wie sie sagt.
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