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Versmold mit polnischen Augen

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Versmold ist für Kazimierz Jaworski nicht »die« Fleischstadt, sondern »eine« Fleischstadt. Der gebürtige Pole möchte seinen Landsleuten die Versmolder Geschichte erklären - als Beispiel für ganz Deutschland. Alte Baustile erschweren die Einordnung „Im Gegensatz zu den meisten Deutschen, die bei einer Stadtführung mitmachen, wissen Polen nicht, was eine deutsche Stadt grundsätzlich ausmacht”, erläutert Kazimierz Jaworski. Das Fachwerk sei das beste Beispiel: Für Polen gelte diese Art zu bauen als typisch deutsch - und als typisches Zeichen der preußischen Besetzung Nordpolens. Gerade deshalb sind solche Gebäude in Jaworskis Heimatland heutzutage eher selten anzutreffen. Also nimmt er seine Landsleute gerne mit und zeigt ihnen einige Beispiele regionaler Baukunst. Wenn sie dann Fachwerk- oder Bruchsteinhäuser in der Innenstadt sähen, bekäme er häufig dieselbe Frage zu hören. „Polen fragen mich oft: Was ist das hier für eine Stadt? Sie wirkt in vielem altmodisch, aber alt ist sie nicht. Ganz modern aber auch nicht”, sagt Jaworski. Und dann antwortet er: „Das hier ist eine typische Stadt für die Region.” Typisch, allerdings mit all ihren Eigenheiten, wie er erläutert. Zum Beispiel sei Versmold ohne die Fleischindustrie nicht denkbar. Er selbst hat sich lange in die Geschichte Versmolds und die Geschichte der ostwestfälischen Fleischindustrie eingearbeitet. „Ich habe selbst am Anfang nicht verstanden, welchen Stellenwert hier die Fleischereibetriebe haben”, sagt er. Als er sich die Hintergründe erschlossen hatte, sei ihm aber vieles, das für Versmold typisch ist, verständlicher geworden. Allerdings gibt es auch viele kleine Dinge, die aus Jaworskis Sicht die Unterschiede zwischen einer deutschen und einer polnischen Stadt ausmachen: Dazu gehören Reisebüros genauso wie Restaurants außerhalb der Stadt oder die vielen Altenheime. „Hier gibt es viel mehr Reisebüros”, hat er beobachtet. „Deutsche können sich das leisten. Auch mal eben nach Holland in den Urlaub zu fahren, scheint hier selbstverständlich.” Die höhere Mobilität, die er beobachtet hat, lässt sich zum Beispiel auch am Farmhouse Jazzclub festmachen. „So etwas wie das Farmhouse - das weit entfernt sowohl vom Versmolder als auch vom Harsewinkeler Stadtkern liegt - kann nur bei einer sehr mobilen Gesellschaft funktionieren”, sagt er. „Wo ich herkomme, findet das Leben sehr viel zentralisierter statt. Auch die öffentlichen Verkehrsmittel haben einen viel höheren Stellenwert.” Die Deutschen wendeten sehr viel mehr Geld und Zeit für ihre Freizeit auf. Längere Strecken alleine mit dem Auto zurückzulegen oder Ausflüge zu machen, sei viel alltäglicher. In vielen Dingen würde sich zeigen, dass die Versmolder einfach mehr Geld besitzen als die meisten Polen, gerade im ländlichen Bereich. Aber auch die weniger starken familiären Bindungen und weniger Interesse an der Religion fallen ihm immer wieder auf: „Altenheime sind eine hiesige Erfindung. In Polen dominiert noch das alte Familienmodell”, sagt Jaworski. Mut zu starken Behauptungen Was seinen Spaziergang spannend macht, ist, dass er mutig starke Behauptungen aufstellt. Als jemand, der sein Leben in Polen verbracht hat, aber nun seit einigen Jahren in Versmold lebt und arbeitet, traut er sich zu, beide Gesellschaften vergleichen zu können, in dem, was sie ausmacht. ¦ Weitere Infos zur Führung gibt es bei der Stadt Versmold, ` (0 54 23) 95 41 10. Auch wenn die Führung eigentlich für Polen gedacht ist, sind Deutsche eingeladen, einmal mitzukommen.

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