Von Tasja Klusmeyer
Versmold. Die großen Ferien stehen vor der Tür - und mit ihnen rückt der Tag des Abschieds näher. Nach vier Jahren wechseln 107 Viertklässler der Versmolder Sonnenschule auf weiterführende Schulen. Es ist ein besonderer Jahrgang: der erste des Gemeinsamen Lernens. Anlass für Rektorin Andrea Kaumkötter sowie die beiden Pädagoginnen Christin Hagenkötter und Anna Podzuweit zurückzuschauen auf die Anfänge inklusiver Beschulung und hinauszublicken auf die Herausforderungen der Zukunft.
Die Schüler der Klasse 4 c sind in den vergangenen Wochen unter die Regisseure gegangen. In Kleingruppen haben sie Trickfilme gedreht. Themen, Materialien, Musik, Vor- und Abspann - all das haben sich die Kinder selbst überlegt und erarbeitet. "Kinder lieben Trickfilme. Mir war es wichtig zu zeigen, wie viel Arbeit dahintersteckt", sagt Klassenlehrerin Christin Hagenkötter. Die Mädchen und Jungen sind stolz auf ihre Trickfilme und erzählen gerne vom Projekt.
Das eine Kind hebt eifrig den Finger, um von der Arbeit zu erzählen. Andere sind eher zurückhaltend. Wiederum andere suchen sich währenddessen ihre eigene kleine Beschäftigung. Alltag im Klassenraum. Und doch ist in Klasse 4 c nicht alles so wie in anderen Klassen.
Fünf Kinder mit unterschiedlichen Förderbedarfen sowohl in der geistigen als auch in der emotional-sozialen Entwicklung sowie mit dem Schwerpunkt Lernen werden gemeinsam mit weiteren 19 Schülern unterrichtet. "Auch in einer Regelklasse gibt es Unterschiedlichkeiten", sagt Christin Hagenkötter, um dann zu betonen: "Bei uns gibt es aber große Unterschiede." Im Lernalltag der Kinder sei dies völlige Normalität. "In der Klasse war das nie großes Thema", schildert Hagenkötter.
Die allgemeine Akzeptanz der inklusiven Beschulung aber benötigte ihre Zeit - inzwischen sind nach Ansicht von Schulleiterin Andrea Kaumkötter Barrieren abgebaut worden. Befürchtungen von Eltern, dass die anderen Kinder ohne zusätzlichen Förderbedarf nicht so gut lernen würden, hätten sich nicht bewahrheitet. "Studien haben das eindeutig widerlegt und stattdessen nachgewiesen, dass alle Kinder vom Gemeinsamen Lernen profitieren." Voraussetzung: Die Mischung muss stimmen.
"Der Erfolg gibt uns Recht: Diese Klasse ist genauso erfolgreich wie andere auch", sagt Andrea Kaumkötter mn Hinblick auf das Leistungsniveau der 4 c. Sicherlich könne ein Kind mit geistiger Entwicklungsverzögerung nicht wie andere Viertklässler im Zahlenraum bis einer Million rechnen. "Aber das muss es auch nicht." Entsprechend hat jedes Kind seine eigenen Lernziele.
Es gibt auch Grenzen der Inklusion, sagt auch Andrea Kaumkötter aus ihrer Erfahrung. Nicht für alle Kinder sei der Besuch einer Regelschule der richtige Weg. Förderschulen könnten besondere heilpädagogische Unterstützung und kleinere Klassen bieten.
Für Regelschulen bedeutet Inklusion Chance und Herausforderung zugleich. In den aktuell vier Klassen des Gemeinsamen Lernens an der Sonnenschule mit insgesamt 26 Kindern, bei denen ein Förderbedarf nachgewiesen wurde, besteht ein besonderer Personalbedarf. "Wenn es im Bereich soziales Verhalten ein Problem gibt, braucht es einen zweiten Kollegen, der sich kümmert", erklärt Schulleiterin Andrea Kaumkötter. Idealerweise werden die Klassenlehrer von einem Sonderpädagogen unterstützt. An Fachkräften aber mangelt es.
Neben Sonderpädagogin Anna Podzuweit verfügt die Sonnenschule in Annika Rampelmann, die eine Zusatzausbildung absolviert hat, über eine zweite Kraft. Um in jeder GL-Klasse die Doppelbesetzung zu gewährleisten, werden auch andere Kollegen eingesetzt. "Grundschularbeit hat sich für das gesamte Team geändert", sagt Kaumkötter.
Was für Leitung und Lehrer bei der personellen Planung eine große Herausforderung darstellt, bringt den Kindern Vorteile. "So haben alle Kinder eine bessere Chance, individuell gefördert zu werden", sagt Podzuweit. Durch zwei Pädagogen sei differenzierterer Unterricht in Kleingruppen möglich. Zu den Vorteilen beim Lernen kommen die sozialen Fähigkeiten. "Kinder unterstützen sich gegenseitig", so die Sozialpädagogin.
In zwei Wochen verabschieden Christin Hagenkötter und Anna Podzuweit ihre Viertklässler in einen neuen Lebensabschnitt - der erste Jahrgang inklusiver Beschulung wechselt von der Sonnenschule auf eine weiterführende Schule. Außerhalb Versmolds. Zwei Kinder werden dann auf einer ihrem Bedarf entsprechenden Förderschule weiterlernen. Die anderen drei wären möglicherweise gerne wie viele ihrer Klassenkameraden in Versmold zur Regelschule gegangen. Doch inklusiven Unterricht wird es ab diesem Schuljahr an der CJD-Sekundarschule (noch) nicht geben. Weil es keine Sonderpädagogen gibt.
Stattdessen werden die Schüler nun die Gesamtschule in Borgholzhausen und Werther besuchen. "Tragisch", findet Andrea Kaumkötter das für die betroffenen Familien. "Es muss intensiv daran gearbeitet werden, dass sich das bis 2016 ändert." Dann wartet der zweite Jahrgang GL-Schüler an der Wersestraße gespannt auf den Abschied von der Grundschulzeit.