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"Wir gehen an die letzten freien Ecken"

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Halle.
70 Seiten künden vom wirtschaftlichen Wohl und Wehe der 13 Kommunen im Kreis Gütersloh. Sie bilden den aktuellen Strukturbericht der Pro Wirtschaft GT. Albrecht Pförtner, Geschäftsführer der heimischen Wirtschaftsförderungsgesellschaft, ist derzeit mit ihm auf Tour und berichtet den Entscheidern in den Städten, wie es um sie steht. Die HK-Redakteure Kerstin Spieker und Marc Uthmann sprachen mit Pförtner über die Botschaften hinter den Zahlen. Und auch für ihn steht fest: Mit dem ungebremsten Wachstum ist bald Schluss.

Herr Pförtner, man hörte Sie jetzt mehrfach öffentlich die Stadt Halle als Wirtschaftsstandort loben. Was begeistert Sie so sehr?

ALBRECHT PFÖRTNER: Wir befinden uns hier im Kreis Gütersloh wirtschaftlich auf einem sehr hohen Niveau. Und dann ragt da eine Stadt wie Halle in ihrer Entwicklung so heraus. Das ist doch bemerkenswert. Zumal Halle ein Standort mit Perspektive ist. Wir haben die Autobahn, die jetzt kommt. Und dann ist da noch der Haller Willem, der ebenfalls nicht zu unterschätzen ist. Ich ziehe meinen Hut vor den Aktivisten, die sich gegen viele Widerstände für den Erhalt der Strecke eingesetzt haben. Der Haller Willem ist Gold wert. Ein echtes Pfund! Zusammengenommen mit der Autobahn und der ohnehin strategisch günstigen Lage der Stadt. Da sehe ich die Entwicklung als Wirtschaftsstandort noch lange nicht am Ende.

Auf 70 Seiten kann jede der 13 Kommunen im Kreis Gütersloh in Zahlen und Diagrammen ihren derzeitigen Stand gut ablesen. Wie kann denn der Bericht den Entscheidungsträgern hilfreich sein?

PFÖRTNER: Nun, die Kommunen gehen ganz unterschiedlich damit um. Als wir vor zehn Jahren den ersten Strukturbericht für den Kreis Gütersloh erstellt haben, da glaube ich, dass er etwa 20 Leser hatte. Das hat sich im Laufe der Jahre geändert und inzwischen wird er von vielen Verantwortlichen wahrgenommen und auch erwartet. Natürlich kann ein Bürgermeister auf kommunaler Ebene nichts an der Exportquote drehen. Aber es gibt Bereiche, die der Bericht beleuchtet, an denen auch örtlich sehr wohl die Schraube gestellt werden kann.

Können Sie dafür Beispiele nennen?

PFÖRTNER: Nehmen wir die Jugendarbeitslosigkeit. Natürlich klagen wir auch an dieser Stelle im Kreis Gütersloh auf hohem Niveau. Aber jeder arbeitslose Jugendliche ist einer zu viel. Ein Übergangscoach an der weiterführenden Schule kann da eine Menge bewirken. Wie verhält sich eine Kommune zur Ausweisung von Gewerbeflächen - das ist eine politische Entscheidung, deren Ergebnis entscheidend ist. Der Ravenna-Park in Halle etwa ist voll. Die Haller Politik entscheidet, ob sie mit ihrer Zustimmung zur Erweiterung die Weichen auf Wachstum stellen will oder nicht. Die Stadt Halle ist und wird ein 1-a-Standort im Kreis. Jetzt ist einfach nur die Frage, wie man in Zukunft mit dieser Chance umgehen will.

Sie sprechen viel von Wachstum und Entwicklung. So positiv wie in Halle sehen die Zahlen ja nicht für alle Kommunen des Kreises aus. Ein Blick auf die Versmolder Diagramme im Strukturbericht etwa ist derzeit sehr ernüchternd. Besteht nicht die Sorge, dass einzelne Orte abgehängt werden könnten?

PFÖRTNER: Der Erfolg, der sich in den Zahlen im Strukturbericht zeigt, ist manchmal nur das Ergebnis davon, zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein. Man kann ja die Krise in der Fleischwirtschaft, unter der Versmold derzeit leidet, keinem Bürgermeister anlasten. Gefährlich ist aber immer, wenn ein Standort, wie eben in diesem Fall Versmold, sehr stark durch eine Branche geprägt ist. Gerät die dann in eine Krise, kommt die ganze Kommune in Schieflage. Versmold wird daran arbeiten. Das heißt aber, dass die Stadt jetzt investieren muss und vielleicht erst in zehn Jahren die Früchte ernten kann. Es geht in der wirtschaftlichen Entwicklung nun mal nicht immer nur bergauf. Das zeigen viele Beispiele aus anderen Kommunen. Abgehängt sehe ich im Kreis Gütersloh aber keine Kommune.

Dennoch ist der Wettbewerbsgedanke unter den Kommunen unverkennbar. Treibt man damit nicht vielleicht Gemeinden auch in unüberlegtes Wachstum? Wie wollen Sie Grabenkämpfe verhindern?

PFÖRTNER: Hier vollzieht sich allmählich ein Paradigmenwechsel. Industriestandorte sind planungsrechtlich künftig nur noch interkommunal zu verwirklichen. Seit zwei Jahren bereiten die Pro Wirtschaft und der Kreis Gütersloh in den Kommunen den Boden dafür, noch mehr als bisher in Interkommunalität zu denken und zu handeln. Bis zum Jahresende erstellen die Kommunen im Kreis ihre lokalen Gewerbekonzepte. Vom Kreis wird dann erwartet, die Klammer zu bilden. Es wird spannend sein, die Interessen abzustimmen, so dass dann auch noch alles mit den Vorgaben des neuen Landesentwicklungsplanes vereinbar ist. Klar ist inzwischen wohl, dass bei aller Interkommunalität der räumliche Bezug bleiben muss.

Was heißt das konkret?

PFÖRTNER: Sich an einem Interkom-Gebiet in Gütersloh zu beteiligen, brächte zum Beispiel Versmold wenig. Es wird kaum jemand nach Versmold ziehen, weil er in Gütersloh einen Arbeitsplatz gefunden hat. Dagegen liegt ein interkommunales Gewerbegebiet wie das zwischen Versmold und Borgholzhausen natürlich günstig. Davon profitieren beide Partner.

Aber gerade dort gibt es Vermarktungsprobleme. Warum läuft der Ravenna-Park und erwähntes Interkom

Borgholzhausen-Versmold
nicht?

PFÖRTNER: Zum einen ist es so, dass ein Standort, an dem es läuft, weitere Interessenten anlockt. Das ist in Halle der Fall. Zum anderen profitiert Halle auch hier von seiner günstigeren Verkehrsanbindung. Die Autobahn kommt nach Borgholzhausen eben später als nach

Halle.

Warum konnte sich zum Beispiel der Landmaschinenhersteller Claas nicht für den Standort Borgholzhausen entscheiden?

PFÖRTNER: Über die genauen Gründe möchte ich hier nicht spekulieren. Es ist einfach nur schade, dass mit der Entscheidung für Dissen dem Kreis Gütersloh eine größere Zahl extrem hochwertiger Arbeitsplätze verloren gehen. Dennoch kann man auch in der Standortentscheidung für Dissen noch etwas Gutes sehen. Vielleicht können Kommunen im Kreis, die jetzt Baugebiete entwickeln, von der Ansiedlung gut ausgebildeter Claas-Mitarbeiter profitieren.

Auch wenn wir über Baugebiete reden, sprechen wir wieder von Wachstum. Und Wachstum bedeutet in diesem Fall Flächenverbrauch. Sehen Sie da keine Grenze? Wie weit muss man bereit sein, für wirtschaftliches Wachstum zu gehen?

PFÖRTNER: Wir müssen ja schon jetzt feststellen, dass die nutzbaren Flächen im Kreis endlich sind. Schaut man auf Halle, so legt die Topografie nahe, dass eine Ausweitung nur in eine Richtung sinnvoll ist - und das ist dort, wo der Ravenna-Park liegt. Die derzeitigen Fertigungsprozesse lassen nichts anderes zu, als in die Fläche zu gehen. Hier wird Architektur, hier werden Statiker und Maschinenbauer gefragt sein, künftig nach anderen Lösungen zu suchen. Schon jetzt gehen wir an die Nutzung der letzten freien Ecken. Und ohne Anwohnerprotest wird es in den nächsten Jahren ohnehin keine neue Standortausweisung geben.

Sollte das nicht zu denken geben?

PFÖRTNER: Der Kreis Gütersloh ist aber nun einmal ein Industriestandort. In vielen Betrieben wird an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden gearbeitet. Just-in-Time-Produktion wird erwartet. Das geht nur in Lagen wie etwa im Ravenna-Park.Wenn wir die Flächen, die unsere Industrie braucht, nicht zur Verfügung stellen, dann sägen wir doch an unserem eigenen Ast.

Wenn man solche Zwänge formuliert, wo bleibt dann die Entscheidungsfreiheit der politischen Gremien? Leidet da nicht die politische Kultur?

PFÖRTNER: Der Souverän ist der Rat. Was er entscheidet, gilt. Je größer die politische Einigkeit bei der positiven Bewertung von Wirtschaftsfragen ist, umso besser ist das Klima für wirtschaftliches Wachstum. Verl zum Beispiel genießt unter Unternehmern den Ruf, dass ihnen dort geholfen wird. Das wirkt natürlich äußerst anziehend.

Was ist mit der Nutzung von Brachen? Könnte darin eine Lösung liegen?

PFÖRTNER: So viele Brachen haben wir ja gar nicht. Und die, die wir haben, müssten erst einmal aktiviert werden. Das lässt sich gut anmahnen, bleibt aber ein frommer Wunsch, wenn der Eigentümer nicht über ausreichende finanziellen Mittel verfügt und die Kommune auch nicht. Da fehlt ein Fördertopf, der solche Projekte unterstützt.

Was sind für Sie die wichtigsten Aufgaben für die Zukunft, um den Standort Kreis Gütersloh attraktiv zu halten?

PFÖRTNER: Zunächst einmal ein klares Bekenntnis zum Industriestandort. Dann muss mehr ausgebildet werden. Der Fachkräftemangel gewinnt zunehmend an Bedeutung. Außerdem müssen wir unsere Städte attraktiv halten. Hinzu kommt die interkommunale Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Und wir müssen unseren Blick auf Neues richten.

Was meinen Sie damit?

PFÖRTNER: Die Ansiedlung von Anbietern hochwertiger Dienstleistungen oder hochschulnahe Themen. Ich nenne da das Schlagwort Arbeitswelt 4.0. Die Wertschöpfungsprozesse werden andere werden. Wir sind bei der Pro Wirtschaft derzeit damit beschäftigt, hier Informationen zu sammeln und Expertenmeinungen einzuholen. Wir beginnen gerade mit einer Bewertung, was das für den Arbeitsmarkt und für den Flächenbedarf der Zukunft bedeutet. Wer aber heute schon behauptet, dass er das bereits sicher wisse, den halte ich für unseriös.


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