Versmold/Ahlen. Die Ahlener SG, Heimatverein von Versmolds Coach Dirk Schmidtmeier, richtet jährlich ein Handballturnier auf Großfeld aus - endlich schafft es diesmal auch die Spvg., ein Team abzustellen. Seinen besonderen Reiz bezieht das Gastspiel aus der Tatsache, dass die Versmolder keine erfahrenen Großfeldrecken schicken. Vielmehr dürfen sich die Jungspunde der ersten Mannschaft auf dem weiten Grün austoben.
Das Ambiente in Ahlen passt zur traditionsreichen Sportart: Der Sportpark Nord ist eigentlich ein Leichtathletik-Stadion - mit mächtiger Betontribüne, Wellenbrechern und altehrwürdigen Kabinen. Gut vorstellbar, wie hier einst epische Schlachten im Feldhandball geschlagen wurden.
Die jungen Handballer der Spvg. Versmold wissen von all dem natürlich nichts: Ein wenig unsicher, fast schon linkisch, traben sie sich auf dem riesigen Rasenplatz warm, betrachten ehrfürchtig den 13-Meter-Kreis, in den die Feldspieler nicht eindringen dürfen.
Dafür misst allerdings auch das Tor stolze 7,32 Meter in der Breite - die Maße des Fußballs eben. Versmolds Keeper Marcel Meyer schaut entsprechend skeptisch, als er sich in den mächtigen Kasten stellt. Schließlich bringt es Dominik Niebrügge auf den Punkt: "Was muss ich eigentlich machen?", fragt er ganz unbedarft - und bekommt von Coach Dirk Schmidtmeier die kürzeste, denkbare Antwort: "Handball spielen."
Wobei das so einfach gar nicht ist. Zwar hat »Schmitti« ein paar Tag zuvor eine kleine Regelkunde geliefert, aber das Spiel ist eben ein komplett anderes. Zum Auftakt treffen die Versmolder ausgerechnet auf den Titelverteidiger TV Jahn Oelde. Und der hat einige Strategen zu bieten. Ein wurfstarker Hüne netzt scheinbar mühelos aus 16 Metern Entfernung ein, und in der Defensive stehen zwei echte Haudegen: der eine kräftig und kompromisslos, der andere hager, weißhaarig und unerbittlich. An ihnen beißen sich die Versmolder mit ihrem Stil aus dem Hallenhandball die Zähne aus. Schnell liegen sie 1:5 zurück.
Zeit für eine Analyse von Dirk Schmidtmeier: "Tippen, festhalten und gucken. Wackler, Zweikampf und solche Dönekes brauchen wir hier nicht!" Doch seine Jungs sind noch mit den profanen Dingen des Großfeldhandballs beschäftigt. Der Raumaufteilung etwa. Sechs Spieler dürfen angreifen, während vier in dieser Zeit in der eigenen oder der neutralen Zone in der Mitte des Platzes verharren müssen - genauso können maximal sechs Akteure verteidigen, während die verbliebenen Angreifer warten.
Nach Adam Riese steht damit fest: Zwei Jungs müssen laufen - und nachdem Alexander Neumüller diesen Job als balltragender Verbindungsmann zunächst mit Begeisterung übernommen hat, ist er dann doch schnell außer Puste. Ständig hört man zudem Rufe wie "Einer muss noch zurück!" oder "Wo stehst du denn?" über den Platz hallen - Dirk Schmidtmeier nimmt es schmunzelnd zur Kenntnis. Als sein Außen Andre Bohnemeyer sich allerdings - wie in der Halle befohlen - in die Ecke des Spielfeldes stellt, um auf Bälle zu warten, wird es »Schmitti« zu bunt: "Bohne, was machst du da!", brüllt er über den Platz.
Dennoch fangen sich die Versmolder in der zweiten Hälfte gegen Oelde. Nachdem Kai Sötebier am Anfang der Partie noch gedribbelt hat wie ein Basketballer, prellt er jetzt fachmännisch, nimmt den Ball mit beiden Händen auf, schaut sich um - und prellt weiter. "Was in der Halle als »Zwei Mal« abgepfiffen würde, gehört auf dem grünen Rasen zum guten Ton. Und auch vor dem riesigen Kasten legt die Spvg. nun die Zurückhaltung ab: Daniel Germer fliegt drei Mal von außen herein und lässt den Ball ins Toreck sausen - nur noch 4:6. Für den Sieg reicht es aber nicht mehr, dafür ist Oelde zu clever. Lange Angriffe, gemütliches Tippen - es gibt kein Zeitspiel beim Feldhandball. Nach der Auftaktpleite sieht sich Dirk Schmidtmeier genötigt, mit Sanktionen zu drohen: "Wenn wir hier Letzter werden, gibt es Straftraining."
So weit wollen es seine Jungs nicht kommen lassen, ohnehin hat sie nun der Ehrgeiz bei dem für sie so fremden Spiel gepackt. Den Auftakt macht Alexander Neumüller im zweiten Spiel gegen Villigst/Ergste: Mit einer spektakulären Bogenlampe aus etwa 20 Metern visiert er das gegnerische Tor an, gefühlte fünf Sekunden ist der Ball in der Luft - um dann unter dem Raunen des Publikums auf die Latte zu klatschen.
Die Versmolder haben jetzt sichtlich Spaß am Großfeldhandball, treiben den Ball mit langen Pässen nach vorne, drücken immer wieder aufs Tempo und feuern aus allen Rohren. Und endlich traut sich auch Torwart Marcel Meyer die Fallparade zu - ganz wie ein Fußballkeeper: 8:2 gegen Villigst/Ergste, 7:2 gegen Beckum und zum Abschluss 7:6 gegen Gastgeber Ahlen, die junge Spvg. spielt auf wie ein Team alter Großfeldhasen.
Drei Siege aus vier Spielen - eine tolle Bilanz, die aber nicht zum Sieg reicht. Denn die Könner aus Oelde gewinnen jede Partie und sichern sich erneut den dicken Wanderpokal. "Doppelt oder nichts!" - mit diesen Worten hatte Alexander Neumüller den Oeldern zuvor eine Revanche angeboten. Die Champions des Tages nehmen es lediglich grinsend zur Kenntnis. "Hätten wir gegen die doch später gespielt", hadern die Versmolder wenig später - um sich dann doch ausführlich selbst für ihre starken Leistungen zu besingen. Die Zeitreise hat ihnen wahrlich neue Welten eröffnet.