Quantcast
Channel: Haller Kreisblatt
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262

Wenn Musik und Worte verschmelzen

$
0
0

Von Edwin Rekate

Werther.
"Denke nicht an die hohen Töne, es sind genauso Töne wie alle anderen auch. Wenn die Noten davor bereits gut klingen, gibt es keinen Anlass für eine Blockade im Kopf." Aris Christofellis gibt Irina Trutneva, Gesangsstudentin an der Hochschule für Musik in Detmold, praktische Hinweise für ihre Examensprüfung. Die 26-jährige Sopranistin hat den Meisterkurs im MiZ (Musik im Zentrum) belegt, den die Opernsängerin Claudia Oddo vom Wertheraner Chor »Mondo Musica« initiiert und organisiert hat, und trägt Cleopatras Arie »Piangerò la sorté mia« aus Georg Friedrich Händels »Giulio Cesare in Egitto« vor.

"Cleopatra ist im Gefängnis und weiß nicht, ob Cäsar lebt oder nicht. Es gibt keine Hoffnung, sie weint und singt dieses »Lamento«." Christofellis führt bei diesem Klagegesang bühnengerecht Regie, damit Trutneva die schmerzlich-leidenschaftliche Ausdeutung ihrer Gesangsrolle optimal umsetzen kann: "Stell dir die schönste und mächtigste Frau der Welt vor, die alles besitzen konnte und alles verloren hat."

Auch Felicitas Gellermann, Sopran-Solistin bei »Mondo Musica«, erhält von Christofellis spezifische Anleitungen. Beim Meisterkurs interpretiert sie Susannas lyrische Arie »Giunse alfin il momento« aus der Oper »Figaros Hochzeit« von Wolfgang Amadeus Mozart. Sie übt die Mozart-typischen Koloraturen, die schnelle Abfolge von kurzen Notenwerten, die virtuose Kunst der Verzierung. Allerdings beim zweiten Durchlauf, den die Konzertpianistin Nadja Naumova »Da capo« anschlägt, müssen andere Phrasierungen gesungen werden. Der griechische Countertenor findet schnell entsprechende Töne und vermittelt - selbst singend - ihre perfekte Artikulation. Sein Geheimnis: "Weniger ist mehr."

"Stell dir einen Garten vor, den zarten Duft der Blumen, die betont feminine Ausstrahlung", verinnerlicht Aris Christofellis Gellermann die erotisch-knisternde Szene. "Musik und Worte müssen in einer magischen, wundervollen Atmosphäre verschmelzen", erläutert der virtuose Gesangspädagoge, der leidenschaftlich gern mit Metaphern arbeitet. Die Kursteilnehmerin Gabriele Gehrmann soll sich auf ihren ersten Ton hechten wie eine Löwin auf ihre Beute. Bei MiZ-Mitarbeiterin Birgit Blavius trainiert er dirigierend solide Taktfestigkeit und bei Mondo-Musica-Sängerin Ingeborg Zumpe eine publikumstauglich gelockerte, aber korrekte Körperhaltung fürs Belcanto.

Aris Christofellis interpretiert Gesang als Gesamtkunstwerk. Er kontrolliert die Atmung und deutliche Aussprache, besonders die Lautlehre kommt bei ihm nicht zu kurz: "Vokale müssen gedehnt werden, sonst versteht in der Entfernung niemand etwas. Außerdem klingen auch die Konsonanten besser, wenn man die Vokale besser auflöst." - Im Interview mit dem Haller Kreisblatt reflektiert Christofellis, dass hinter seinem pädagogischen Erfolg sein von klein auf großes Interesse beim Verbinden musikalischer, technischer und vokaler Aspekte steht. "Ich höre genau zu und fühle dabei, was mit mir passiert. Meine Erfahrungen kann ich präzise auf andere übertragen. Es ist wie bei einem guten Doktor: Er kennt den großen Zusammenhang, muss aber dennoch einen guten Riecher haben."

Christofellis, dessen Eltern zunächst nur an einen Spleen ihres Zöglings dachten, belehrte seine Familie eines Besseren. Während seines Klavierstudiums verspürte Aris den unbändigen Wunsch, seinen Gesang zu perfektionieren. So kam es mit 24 Lebensjahren zum internationalen Durchbruch. In der folgenden, 16 Jahre währenden aktiven Karriere als Countertenor hat er nur an einem einzigen Tag aus gesundheitlichen Gründen passen müssen. Seit dem Jahr 2000 ist er europaweit als angesehener Gesangspädagoge unterwegs. Eine tolle Erfolgsbilanz, die seine Meisterschülerinnen aus Werther bestätigen können und seine Tipps lächelnd zu schätzen wissen: "Wir haben verstanden, dass wir ohne Lippenspannung nicht singen können. Und das heißt küssen, küssen, küssen!"


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262