Werther.
Die Stimme der Nacht - kaum ein Mensch in NRW, der Jürgen Domian nicht kennt. Seit 20 Jahren spricht er bei 1LIVE und im WDR-Fernsehen mit Verzweifelten, Verrückten, Kriminellen und anderen, ganz normalen Menschen. Gerade gab der Zuhörer bekannt, dass er Ende kommenden Jahres seine Dauernachtschicht beenden will. Mit Jonas Damme sprach er anlässlich seiner Lesung am Samstag, 25. April, in der Gesamtschule über sein neues Buch »Richtig leben ... und dann tu, was du willst« darüber, wie er all das, was er zu hören bekommt, verkraftet und wie es nach seinem Ausstieg weitergehen soll.Herr Domian, Sie haben ein »Interview mit dem Tod« geführt (so titelt sein sechstes Buch, d. Red.). Was war Ihre erste Frage?
Jürgen Domian: Ich fragte: Was ist die Zeit?
Und was antwortete er?
Domian: Die Menschen nehmen die Zeit viel zu wichtig. Eigentlich gibt es ja nur die Gegenwart. Denn die Vergangenheit ist schon im Besitz des Todes und die Zukunft nichts weiter als eine Illusion. In dem Buch spiegelt sich meine Beschäftigung mit dem Zen-Buddhismus sehr stark.
Ist das Ihre Religion?
Domian: Ich beschäftige mich schon seit vielen Jahren mit Zen. Mit Anfang 20 brach mein christlicher Glaube zusammen und ich stürzte in eine tiefe Sinnkrise. Die atheistische Haltung aber hat mich auch nicht weitergebracht. Also wurde ich ein Suchender, und im Grunde bin ich das immer noch. Obwohl ich mittlerweile das Gefühl habe, auf einer heißen Spur zu sein. Zen sehe ich nicht als Religion, sondern eher als eine Lebens- und Todesphilosophie.
Viele Anrufer empfinden Sie als den Fels in der Brandung. Sind Sie so stabil?
Domian: Ich würde gern stabiler sein. Gelassenheit fällt nicht von Himmel. Man muss sich ständig darum bemühen, darum ringen. Dabei helfen mir die vielen Gespräche in der Nacht. Es geht ja meistens um die grundlegende Frage, wie lebt und handelt man richtig. Seit 20 Jahren denke ich zusammen mit den Anrufern über das Leben nach. Es ist ein großes Glück, dies tun zu dürfen.
Kommt es denn vor, dass Sie jemandem nicht helfen können?
Domian: Natürlich. Manchmal sind Menschen in so ausweglose Situationen geraten, da gibt es keine Hilfe. Die Gespräche mit Sterbenden oder mit Hinterbliebenen sind für mich zum Beispiel besonders schwierig. Ich habe gelernt, dass in solchen Fällen die einzige Hilfe darin besteht, für die Betroffenen da zu sein und zuzuhören. Ich habe einmal 30 Minuten mit einer Frau telefoniert, deren Kind ermordet worden war. Wie hätte ich dieser Frau helfen können? Aber wir haben gesprochen, und das hat der Frau ein wenig Trost geschenkt. Letztlich ist man mit tiefer Trauer aber immer allein.
Wen rufen Sie denn an, wenn es Ihnen schlecht geht?
Domian: Ich habe Glück. Ich habe schon mein ganzes Leben immer mindestens zwei gute Freunde, bei denen ich mich melden kann. Es ist erschreckend, wie viele Menschen so etwas nicht haben.
Brauchen Sie das auch, um die Sendung auszuhalten?
Domian: Nach der Sendung machen wir immer, zusammen mit unseren Psychologen, eine etwa einstündige Nachbesprechung. Das entlastet sehr. Jedoch bleibt immer etwas, was man mit nach Hause nimmt. Ich finde, das ist auch gut so. Es muss weh tun, sonst wäre ich der falsche Mann an diesem Platz. Das Einschlafen in den frühen Morgenstunden gelingt mir allerdings oft nur schwer. Das liegt an der Sendung, aber hauptsächlich an meinem völlig verdrehten Tag-Nacht-Rhythmus. An so etwas gewöhnt sich der Körper wohl nie.
Und deshalb wollen Sie aufhören?
Domian: Ich will ja nicht aufhören. Nur die Nachtsendung Domian beende ich Ende 2016. Danach sehen wir weiter. Mich interessiert der gesamte Bereich Talk. Nach mehr als 20 000 geführten Telefoninterviews möchte ich gerne meine Talkgäste einmal sehen. Ich würde gerne eine große Talkshow allein oder mit jemandem zusammen moderieren. Besonders nicht prominente Menschen haben so viel zu erzählen. Sie kommen in der deutschen Talkshow-Landschaft kaum zu Wort.
Im Gespräch mit Ihren Telefontalkgästen kennt man Sie verständnisvoll, auf Fotos sieht man Sie meist lächeln. Sind Sie immer so oder pampen Sie auch mal Leute an?
Domian: Jemanden anzupampen fände ich sehr unhöflich. Aber natürlich gibt es in der Sendung manchmal heftige Auseinandersetzungen mit Anrufern. Zum Beispiel mit dem uneinsichtigen Mauerschützen, einem unbelehrbaren Hooligan oder einem notorischen Fremdgeher, der seit Jahren seine Frau übel betrügt und das auch noch gut findet.
Welcher Fehler stört Sie an Menschen am meisten?
Domian: Illoyalität - das ist der Killer für jede Art von Beziehung. Aber auch geizige Menschen sind mir ausgesprochen unsympathisch.
Letzte Frage: Man kennt Sie nur als Gesprächspartner. Sprechen bei Ihren Lesungen nur Sie oder auch die Gäste?
Domian: Meine Lesungen sind immer ein Mix aus Vorlesen und gemeinsamem Gespräch. Mir macht es großen Spaß, mich mit meinem Publikum zu unterhalten. Nur Vorlesen, das fände ich langweilig.
¦ Am Samstag, 25. April, kommt Jürgen Domian nach