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Verständnis weckt Hoffnung

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Von Silke Derkum
Versmold. Es wird geweint. Es wird gelacht. Erzählt und zugehört. "Bevor ich das erste Mal hierherkam, habe ich gedacht: Das kann ich nicht, da breche ich sofort in Tränen aus und dann schäme ich mich", erzählt Melita Lehmann über ihre Berührungsängste mit dem Trauertreff. Inzwischen ist sie seit zwei Jahren dabei. Der Verlust ihres Mannes Erhard, der 2011 verstarb, schmerzt noch immer. Im Kreis der Menschen, die genau wie sie eine geliebte Person verloren haben, fühlt sie sich wohl und verstanden. Ihrer Tränen schämt sie sich schon lange nicht mehr.
Allerdings wäre es ein vollkommen falscher Eindruck, wenn man glaubt, dass beim Trauertreff vor allem geweint wird. Es herrscht zunächst eine gelöste und beinahe heitere Atmosphäre, als sechs der etwa 15 Gäste an diesem Nachmittag über ihre Erfahrungen mit der Trauer sprechen. "Es ist gar nicht so leicht, wenn man bis oben hin voller Trauer ist, die einem den Hals zuschnürt, sich zu überwinden in eine Gemeinschaft zu gehen", sagt Melita Lehmann. "Aber hier habe ich Trost bekommen, damit hätte ich nie gerechnet - ich war so tief am Boden." Knapp zwei Jahre hat sie gebraucht, bis sie sich mit ihrer Trauer öffnen und Gleichgesinnten anvertrauen konnte. "Zuerst habe ich nur zugehört. Ich hatte Angst, dass ich mich wegen der Heulerei blamiere", erzählt sie ganz offen. Inzwischen weiß sie, dass sie nicht die Einzige ist, die auch nach Jahren noch in Situationen gerät, in denen ihr plötzlich die Tränen kommen. Und dann ist sie froh, wenn sie nichts zurückhalten muss. Dieses Gefühl schätzt auch Jürgen Konstanty. Der Tod seiner Frau Elfi liegt erst acht Monate zurück. "Man möchte seinem Umfeld ja nicht mit seiner Trauer auf die Nerven gehen", sagt er und die anderen nicken. Er verarbeitet seinen Schmerz in Gedichten, mit denen er den anderen Gästen aus der Seele spricht.  "Neulich wurde mir gesagt, ich solle doch einfach positiv denken", berichtet er - eine Erfahrung, die den meisten hier geläufig ist.  "So was sagen andere meistens aus Hilflosigkeit", sagt Psychologin Ursula Engelking vom Versmolder DRK, die die Gruppe mit betreut. "Ja", sagt Jürgen Konstanty, "genau wie den Spruch: Das Leben geht weiter. Es geht weiter, aber nicht für die Verstorbenen." Dieses Gefühl kennt Margrit Jahreis nur zu gut. Ihr Mann ist erst vor wenigen Wochen verstorben." Wenn ich den Tisch decke, stelle ich immer noch einen Teller für ihn mit hin. Ich habe mich noch nicht daran gewöhnt, dass er nicht mehr da ist", sagt sie und kann die Tränen nicht zurückhalten. Aber das Weinen hat in dieser Umgebung etwas Natürliches. Es löst kein betretenes Schweigen aus, sondern ein kurzes Innehalten. Dann ergreift jemand anderes das Wort, und Margrit Jahreis hört zu und beteiligt sich wieder ganz normal am Gespräch. An diesem Nachmittag sind es neben Ursula Engelking noch Bärbel Pfahl und Annegret Höhne von der Hospizgruppe, die die Gruppe leiten. Sie helfen, ins Gespräch zu kommen. "Das kann eine Geschichte sein, bei der man überlegt, was der Text mit einem selbst zu tun hat", sagt Annegret Höhne. "Oder wir sprechen über Anlässe, die für Hinterbliebene ein Thema sind, wie zum Beispiel der Jahreswechsel", ergänzt Bärbel Pfahl. "Wer hier in der Gruppe berichtet, wie er aus einem Tief herausgekommen ist, macht den anderen Mut, besonders Leuten, die neu dabei sind", sagt Ursula Engelking. Dabei haben die Trauerbegleiterinnen aber auch ein wachsames Auge auf den Gemütszustand der Gäste - nicht in jedem Fall ist die Gruppe das geeignete Mittel der Trauerbewältigung. "Wir führen auch Einzelgespräche; wenn jemand mit einer tiefen Depression herkommt, raten wir zu ärztlicher Hilfe oder einem Klinikaufenthalt", sagt Ursula Engelking. Für die Gäste ist die Gruppe jedoch genau das Richtige. "Es tut mir gut", sagt Margrit Jahreis und ihre Tochter Claudia Ostlinning, die eigentlich nur gekommen war, um ihre Mutter abzuholen, nickt und fasst dann in Worte, was alle am Tisch nur zu gut kennen: "Es gibt Tage, die gut sind, und andere, an denen es gar nicht geht."

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