von Alexander Heim
Halle.
Es war nicht der sagenhafte Victoriasee, an den die Zuschauer reisten. Es war weder der Tafelberg, noch der Krüger-Nationalpark. Und auch den Kilimandscharo bekamen die 850 Gäste im Gerry Weber Event Center nicht zu Gesicht. Stattdessen fanden sie sich inmitten eines Townships wieder. Mitten in Khayelitsha, einem der größten seiner Art, in der südafrikanischen Metropole Kapstadt.Einfach ist das Leben dort. Wellblechhütten prägen die Skyline. Und doch pulsiert genau hier das Leben, bunt und voller Rhythmus. »Mother Africa - der Zirkus der Sinne« entführte genau dorthin.
Zum vierten Mal gastierte das Ensemble der Akrobaten und Artisten aus sieben Ländern Afrikas in der Lindenstadt. Seit Dezember ist das Team um Winston Ruddle auf Tour durch Deutschland, Österreich und die Schweiz. Halle war ihr fünftletzter Haltepunkt, die insgesamt 43. Show.
Auch hier begann der Morgen, der das Township mit Leben füllt: Der Kinder in ihren Schuluniformen zur Schule gehen lässt. Der einen Marktplatz mit fliegenden Händlern erlebt. Einen Ort, an dem sich bei aller Einfachheit auch die Kreativität ihren Platz schafft.
Genau hier wird man verblüfft von einem waghalsigen Einradfahrer, dem kein Gefährt zu schräg und hoch sein kann. Genau hier plustern sich Jugendliche auf, um einem Mädchen zu imponieren und übertrumpfen sich beim »Rope Skipping« - Salti inbegriffen. Genau hier erklingt die Musik, die unter die Haut geht. Genau hier wird getanzt und der Augenblick gelebt.
Da entpuppt sich ein junges Liebespaar auch in ihrer Akrobatik mit perfekter Synchronizität. Da werden Basketbälle zu Rhythmusinstrumenten. Und der junge Monteur zum Helden, dem es gelingt, die kaputte Stromleitung zu reparieren. Die Balance, die er dabei auf der Leiter hält ist einfach sagenhaft.
Da halten die Zuschauer den Atem an, als Tomas Teka Alemu die Bühne betritt. Der Zwölfjährige wird zum lebenden Katapult, dreht Salto um Salto, wird atemberaubend herumgewirbelt und zeigt pure Körperbeherrschung.
Was man mit einem kaputten, unbesaiteten Tennisschläger anfangen kann? Segn Mitku Wakjira schlängelt sich einfach durch ihn hindurch. Und weiß damit einmal mehr mit einem biegsamen Körper zu verblüffen. Ihm gelingt, was bei jedem anderen die Bandscheiben zur Flucht bewegen würde.
Immer wieder erklingen die vollen afrikanischen Rhythmen, rufen die Trommeln, singen die Frauen. Immer wieder zieht es die Akrobaten hoch hinauf bis unter das Dach der Bühne in fast sieben Meter Höhe. Mal als menschliche Pyramide, mal mit Hilfsmitteln. Zuweilen auf nur einem Arm.
Überall und immer wieder aufs Neue gibt es auf der Bühne Geschichten im Kleinen zu entdecken, die dann zuweilen in den Mittelpunkt rücken. Die erzählen, wie das Leben, wie der Alltag in Afrika ist. Und wie man ihn fantasievoll gestalten kann. Die »Inafrica Band« aus Sansibar untermalt dabei souverän das Geschehen.
So viel Neugierde und Lust auf den fernen Kontinent hat »Khayelitsha« gemacht, so viel Begeisterung bei dem altersmäßig extrem bunt gemischten Publikum geweckt, dass eines doch wirklich schade war: Das sehr europäisch ausgerichtete Speisen-Buffet. Kochbananen, Injera oder Couscous, zum Beispiel mit Hähnchenragout, hätten - als Ergänzung hier und da - den Abend bestimmt auch über das Kulinarische zu einer Expedition der besonderen Art werden lassen.