Quantcast
Channel: Haller Kreisblatt
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262

"Das Leistungsvermögen steigt sprunghaft"

$
0
0
Steinhagen. B-Junioren-Kreisliga B gegen Frauen-Bundesliga: Auf dem Kunstrasenplatz des Cronsbachstadions kommt es am nächsten Sonntag ab 11 Uhr zu einem interessanten Testspiel zwischen dem männlichen Nachwuchs der Spvg. Steinhagen und dem Herforder SV Borussia Friedenstal. Philipp Kreutzer hat die Partie zum Anlass genommen, mit HSV-Trainer Jürgen Prüfer über die Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfußball, die Entwicklung des Spiels in Deutschland und das Herforder Unternehmen Klassenerhalt zu sprechen.

Herr Prüfer, weshalb ist die Begegnung in Steinhagen ein sinnvoller Test für Ihre Mannschaft?

JÜRGEN PRÜFER: Es ist für uns nicht einfach, bei den Frauen adäquate Testspielgegner zu finden. Die Leistungsunterschiede sind nämlich sehr groß. Wenn wir in puncto Tempo, Intensität und Zweikampfführung weiterkommen wollen, müssen wir gegen Jungenmannschaften spielen. B-Junioren sind erfahrungsgemäß aufgrund ihres körperlichen Entwicklungsstandes dafür gut geeignet. Gegen A-Junioren- oder Männer-Teams hat es für uns keinen Sinn.

Warum nicht?

PRÜFER: Die körperlichen Unterschiede zwischen Frauen und Männern sind nun mal nicht zu leugnen. Schauen Sie sich in der Leichtathletik den 100-Meter-Sprint an oder auf dem Fußballplatz das, was auf den ersten zehn Metern passiert: Da nehmen Männer den Frauen etliche Meter ab. B-Junioren sind zwar meistens auch schon schneller als Frauen, aber da können wir die körperlichen Nachteile manchmal noch durch taktisches Verständnis und fußballerische Qualität kompensieren. Gegen A-Junioren und Männer nicht mehr. Was die machen, ist im Grunde eine andere Sportart, und deshalb hat das für uns keinen Zweck.

Sie haben viele Jahre ausschließlich Männermannschaften trainiert. Können Sie die Erfahrungen, die Sie dort gesammelt haben, eins zu eins auf Ihre Arbeit mit den Frauen übertragen?

PRÜFER: Anfangs habe ich manchmal gedacht, ich muss gar nichts anders machen, dann wieder, ich muss alles anders machen. Richtig ist nach meiner Erfahrung die Mitte.

Können Sie das erläutern?

PRÜFER: Es geht wieder um den Unterschied bei den körperlichen Voraussetzungen. Der Ball fliegt bei den Frauen in Relation zum Laufvermögen der Akteure schneller als bei den Männern. Das bedeutet für mich beispielsweise, dass es kaum möglich ist, mit einer Frauenmannschaft Pressing zu spielen. Wenn Sie ein Frauenspiel anschauen, werden Sie feststellen, dass es auf engem Raum sehr intensiv sein kann. Aber sobald die Räume größer werden, wirkt es - gemessen an den durch Männerfußball gemachten Sehgewohnheiten - fast lethargisch. Taktisch hat das zur Folge, dass wir kleine Abstände zwischen den Spielerinnen haben, dass wir eng gestaffelt stehen müssen.

Die Unterschiede beschränken sich aber nicht allein auf das Körperliche, oder?

PRÜFER: Nein, man muss anders führen, denn in einer Frauenmannschaft gibt es andere Befindlichkeiten als bei Männern.

Zum Beispiel?

PRÜFER: Sie können dazu jeden Mann befragen, der mit einer Frau verheiratet ist (lacht): Es ist nicht immer leicht. Das betrifft schon die Kommunikation. Wir meinen, uns klar ausgedrückt zu haben - und werden nicht verstanden. Das gilt auch umgekehrt. Zudem ist das Selbstvertrauen nicht so ausgeprägt wie in Männermannschaften. Es kann Ihnen passieren, dass aufgrund einer einzigen schlechten Szene ein ganzes Spiel hin ist.

Was können Frauen denn besser als Männer?

PRÜFER: Meine Spielerinnen sind unglaublich lernwillig und engagiert. Sie investieren sehr viel Zeit und Energie, obwohl sie dafür erheblich weniger bekommen als Männer in einer vergleichbaren Liga. Die Eigenmotivation ist extrem hoch, und das macht es für mich als Trainer natürlich sehr angenehm.

Sind Sie inzwischen festgelegt auf die Rolle des Frauentrainers?

PRÜFER: Ich werde womöglich von anderen darauf festgelegt. Ich selbst bin offen, auch wieder Männermannschaften zu trainieren. Wobei ich schon sehr gern beim Herforder SV bin und auch gern noch länger bleiben würde.

Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Mädchen- und Frauenfußballs in Deutschland?

PRÜFER: Das Leistungsvermögen steigt sprunghaft. Für die vergangenen Jahre, in denen ich es aus nächster Nähe verfolgt habe, gilt das auf höchstem Niveau vor allem für die Explosivität des Spiels. Also für das Körperliche, weniger in technisch-taktischer Hinsicht. Wir haben es gegen eine Spitzenmannschaft wie Frankfurt selbst erlebt: Wir führen 1:0 und können eine Weile ein Unentschieden halten. Aber in den letzten 20 Minuten geht so dermaßen die Schere auf: Sie können immer noch marschieren, und wir gehen 1:6 unter.

Welchen Stellenwert hat Frauenfußball in Deutschland aus Ihrer Sicht?

PRÜFER: Es ist klar, dass er nicht mit dem Männerfußball mithalten wird, aber der Stellenwert könnte höher sein. Ich teile nicht die DFB-Position, wonach noch weniger Mannschaften der Bundesliga angehören sollten, um so die Leistungsdichte zu erhöhen. Ich finde, die Liga sollte breiter aufgestellt werden, mit mindestens 16 Mannschaften. Wir brauchen erstklassigen Frauenfußball nicht nur an den Standorten, an denen die Männer-Bundesliga ist, wie bei Bayern München oder beim VfL Wolfsburg. Das Herzstück sind Vereine wie Herford, also Orte, in denen der Frauenfußball die Nummer eins ist.

Warum ist es offenkundig so schwierig, Frauen-Bundesliga-Fußball in OWL zu etablieren?

PRÜFER: Das ist eine finanzielle Frage. Was meinen Sie, was Spielerinnen bei uns bekommen? Dafür zieht niemand aus Freiburg oder Essen nach Herford, das deutsche Sicherheitsdenken ist sehr ausgeprägt. Interessanterweise sind Spielerinnen aus den USA und Kanada eher dazu bereit. Sie wollen unbedingt in die starke deutsche Liga, dafür nehmen sie sehr viel in Kauf. Es ist also kein Wunder, dass wir sechs Frauen aus Nordamerika im Kader haben.

Darüber hinaus setzt Herford vor allem auf eigene Talente.

PRÜFER: Etwas anderes bleibt uns doch nicht übrig. Aber es ist sehr schwer, so die Bundesliga zu halten.

Ihre Mannschaft ist abgeschlagener Tabellenletzter. Glauben Sie noch an den Klassenerhalt?

PRÜFER: Wir hatten bisher viel Pech mit Verletzungen und haben einige Spiele unglücklich verloren. Wir müssen jetzt einfach mal ein Spiel gewinnen, am besten gleich das erste gegen Jena, dann kommt der Glaube zurück. Dafür wollen wir uns in Steinhagen gut vorbereiten.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3262