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"So sah es schon vor 700 Jahren hier aus"

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Von Silke Derkum

Versmold-Bockhorst. Wenn man mit Martin Ellerbeck auf den verzweigten Wirtschaftswegen zwischen Bockhorst und Oesterweg unterwegs ist, dann verändert sich die Landschaft. Dann wird aus einem matschigen Acker ein "für Mensch und Tier unpassierbares Feuchtgebiet" und aus simplen Wiesen eine schier "endlose Schilffläche, durch die der Wind rauscht". Martin Ellerbeck ist kein Zauberer, und natürlich sieht die Gegend im Einzugsgebiet des Bruchbachs immer noch so aus wie vor wenigen Wochen. Aber der 89-Jährige hat die Fähigkeit, so anschaulich zu erzählen, dass vorm geistigen Auge der Zuhörer alles wieder so aussieht, wie zu Martin Ellerbecks Kindheit in den 1930er-Jahren. Oder wie zur Zeit des 30-Jährigen Krieges um 1625. Oder wie zu der Zeit, als der letzte Graf von Ravensberg gerade zehn Jahre tot war: im Jahr 1356.

Denn in dieser Zeit beginnt die Geschichte, der der Hobbyhistoriker aktuell auf der Spur ist. "Andere lösen Kreuzworträtsel, ich löse historische Rätsel", sagt Martin Ellerbeck, der seit Jahren der Historie vieler Bockhorster Hofstätten und der Entstehung des Ortsteils selbst auf den Grund geht.

Dieses Mal jedoch ist es ein Loxtener Hof, bei dem die Spurensuche beginnt. Genauer gesagt, der Hof Spellmann in Loxten-Leimweg. Landwirt Erhard Spellmann ist nämlich im Besitz einer Urkunde, die am 26. Mai 1356 ausgestellt wurde. Und in dieser bezeugt »Gerhard, Graf zu Berge und zum Ravensberge«, dass er seinen Knappen Lippold von Drantum und dessen Frau Kristine zum Lehnsherrn über den Kotten, "der gelegen ist zu Ezelbrughen im Kirchspiel Versmold" macht. Außerdem wird Lippold von Drantum noch mit Land belohnt, das in der Urkunde aufgeführt ist: ein Acker, der bisher zu "Hudepols Hove" gehörte, und ein Acker, der "Ruscheland bei dem Padendike" genannt wird.

Wo nun andere vielleicht mit den Schultern zucken und weder mit dem Namen Lippold von Drantum noch mit Hudepols Hof oder Ruscheland etwas anfangen können, geht für Martin Ellerbeck die Suche erst richtig los. Und noch mehr als die historischen Personen interessieren ihn die Höfe, Orte und Landschaften. Denn die lassen sich häufig auch heute noch wiederfinden - man muss nur wissen, wie man suchen muss.

Ezelbrughen

Und das weiß der versierte Forscher. Denn die Namen aus alten Zeiten verraten häufig etwas über ihre Lage. So ist der Name Ezelbrughen, zu dem der belehnte Kotten gehört, die alte Form von Esselbrügge, wie der Hof Spellmann noch bis vor drei Generationen hieß. Und Ezelbrughen aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt bezeichnet einen höher gelegenen Weideplatz im oder am Rande eines Feuchtgebietes. "Das Gelände beidseits des Bruchbachs in der Nähe des Hofes Spellmann sieht auch heute noch so aus, nur dass der Mensch hier durch Kultivierung die Wiesen trockengelegt hat", sagt Martin Ellerbeck.

Hudepols Hove

Deshalb weiß er, dass er am richtigen Ausgangspunkt steht und lässt vom Hof Spellmann den Blick einige 100 Meter weiter auf den Hof Obermowwe schweifen, den er als in der Urkunde von 1356 erwähnten Hudepols Hove identifiziert hat. Denn ein Pol ist ein Pfuhl, also eine Pfütze. Und hude kommt von hüten und war der frühere Begriff für eine Viehweide. "Hudepol war also eine Wasserstelle, an der Vieh getränkt wurde. Und die gibt es am Hof Obermowwe immer noch. "Das werden aber früher nur Schafe und Ziegen gewesen sein, die leicht genug waren, um sich hier in den Feuchtwiesen bewegen zu können", sagt Martin Ellerbeck und findet es bemerkenswert, dass die Höfe an dieser Stelle im Bruchgebiet heute allesamt Milchviehbetriebe sind.

Gut Halstenbeck

Das mit den Höfen war für Martin Ellerbeck ein Kinderspiel. Doch nun will er auch wissen, wo das »Ruscheland bei dem Padendike« zu suchen ist. Das funktioniert über den Knappen Lippold von Drantum. Der ist nämlich drei Jahre später 1359 inzwischen als Ritter von Drantum als Besitzer des Rittergutes Halstenbeck im gleichnamigen Ortsteil der Gemeinde Bockhorst aufgeführt.

"Daher war klar, dass die in Verbindung mit dem Lehen Ezelbrughen genannten Liegenschaften in Halstenbeck zu suchen waren", sagt Martin Ellerbeck, "und ab da ist es für einen Ortskundigen, der zudem Plattdeutsch versteht und deuten kann, nicht mehr schwer."

Ruscheland

Das »Ruscheland bei dem Padendike« liegt unweit des ehemaligen Gutes Halstenbeck, an dessen Stelle heute ein Hof steht. "Hier haben wir als Kinder Räuber und Gendarmen gespielt und uns dabei zwischen den Schilfhalmen versteckt, die über eine riesige Fläche reichten", erzählt Martin Ellerbeck. Ruschen heißt rauschen und deshalb kann das Ruscheland eine Schilffläche sein, durch die der Wind rauscht.

Padendiek

Und der genannte Padendiek findet sich im niederdeutschen Wort Poggendiek wieder, was Froschteich heißt. "Den Teich gibt es heute noch", sagt Martin Ellerbeck und steuert zielstrebig auf ein kleines Wäldchen zu, an dem der Halstenbecker Bach vorbeifließt, der dort in einen Teich mündet, an dessen Ufer immer noch hohe Schilfhalme wachsen.

Inzwischen hat die Dämmerung eingesetzt und taucht Teich, Bäume und Schilf in ein magisches Licht. Und da ist sie wieder, die Fähigkeit von Martin Ellerbeck nicht nur die Landschaft zu verändern, sondern auch durch die Zeit zu reisen. "So wie jetzt", sagt er, "sah es hier auch schon 1356 aus. Das geht aus der Urkunde des Hofes Spellmann eindeutig hervor."


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