Von Jonas Damme
Steinhagen.
Wenn Maxim und Ilya über ihre Lehrerin scherzen, müssen sie sich keine Sorgen machen, dass die sich beleidigt fühlt. Davon mal abgesehen bringt ihnen ihre Muttersprache Russisch im Unterricht nicht viel. Deshalb besuchen sie, genauso wie 16 andere Schüler und Schülerinnen, die neue Internationale Klasse der Realschule.Es gibt etwa so viele unterschiedliche Schicksale in der Internationalen Klasse von Daniela Schlüsselberg und Banu Durak-Haroglu, wie es Schüler gibt. Zwölf sitzen heute um die Tische in einem Klassenraum der Realschule. Sie kommen aus Russland, Polen, Moldawien, Kasachstan, Syrien und anderen Ländern. Einige von ihnen sind mit oder ohne die Eltern vor Gewalt geflüchtet, einige haben andere Gründe hier zu sein, zum Beispiel eine Familienzusammenführung.
Gemeinsam ist ihnen, dass sie erst seit kurzem in Steinhagen leben und kaum Deutsch sprechen. "Die beiden sind sogar erst seit gestern hier", sagt Lehrerin Daniela Schlüsselberg und zeigt auf ein Geschwisterpaar, das versucht sich einzufinden. Weil fast alle anderen Fächer ohne Deutschkenntnisse nicht zu verstehen sind, bekommen die Zugezogenen Sprachunterricht. Am Anfang bis zu 23 Stunden pro Woche. Mit steigenden Kenntnissen werden es weniger. "Nach etwa zwei Jahren haben wir sie meist so weit, dass sie in einer Regelklasse normal mitkommen", sagt Schlüsselberg.
Die Pädagogin ist ebenfalls neu an der Realschule. Seit diesem Schuljahr hat sie dort eine 22-Stunden-Stelle nur für die Internationale Klasse. Vorher hat sie Vorbereitungsklassen - wie sie im Behördendeutsch eigentlich heißen - an anderen Schulen unterrichtet. Ihre Erfahrung kann die Realschule nun nutzen.
Dabei sind ihre internationalen Schüler im manchen Dingen anders als die restlichen Realschüler. Diszipliniert, fast still, sitzen viele der Jugendlichen rund um die Tischgruppe. Elf Jahre alt ist der Jüngste, 17 Jahre die Älteste.
Die vierte Unterrichtsstunde beginnt mit der Kontrolle der Hausaufgaben, die keiner vergessen hat. "Wir kaufen einen Gurke", sagt eine russische Schülerin mit schwerfälligem Deutsch und rollendem R. Einfache Sätze mussten gebildet werden. "Ich koche einen Kuchen", hat eine andere geschrieben.
Was schwerer ist, Deutsch oder seine Muttersprache Albanisch, wird ein Schüler gefragt. "Albanisch ist schwer", findet er. Mit dem Deutschen kommt er mittlerweile eigentlich schon ganz gut klar. Was ist das Schwerste daran? "Die Artikel", geben viele Schüler einstimmig die Antwort. Warum es »der Junge« heiße, aber »das Mädchen«, lässt sich kaum erklären, sondern nur auswendig lernen.
"Der Ball schwimmt", hat eine Schülerin geschrieben und sofort hagelt es Protest: Wie soll ein Ball schwimmen, der habe doch gar keine Arme. Daniela Schlüsselberg erklärt das scheinbar Selbstverständliche mit einem Kreidebild an der Tafel. Alles, was nicht untergeht, schwimmt. Nicht nur Menschen.
Viele Dinge sind im Deutschen anders als im Albanischen. Und die russische und die arabische Sprache ticken wieder ganz anders - täglich kämpfen sich die drei Lehrerinnen der Sprachkurse gemeinsam mit ihren Unterstützern vom Bielefelder Verein »Die Falken« durch die babylonische Sprachverwirrung.
Nötig geworden war die Internationale Klasse vor allem wegen der großen Flüchtlingszuteilungen. Sprachprobleme habe es schon immer gegeben, erklärt Schulleiter Frank Kahrau, "aber in der letzten Zeit sind es deutlich mehr geworden."
In der Vergangenheit seien die wenigen Jugendlichen mit Sprachproblemen einfach in den normalen Klassen mitgelaufen. "Bei Einzelfällen bekommt man das hin", sagt Kahrau. Nun sei es aber Zeit geworden, eine feste Struktur zu installieren, um den Schülern gerecht zu werden, gerade vor dem Hintergrund, dass noch kein Ende der Flüchtlingswelle in Sicht ist.
Denn auch wenn Maxim und Ilya in zwei Jahren ihre Scherze auf Deutsch machen, an Schülern wird es der neuen Klasse vorerst nicht mangeln.