von anke schneider
Borgholzhausen.
"Jede Mutter wünscht sich, dass ihr Kind später in der Welt gut zurechtkommt", sagt Karoline Frenz. Und so hofft auch sie, dass ihrer kleinen Bärbel nichts geschieht, wenn sie sich in einigen Tagen auf ihre lange Reise nach Westafrika machen wird. Anrufen und nachfragen, ob Bärbel gut angekommen ist, kann Karoline Frenz leider nicht. Denn Bärbel ist eine Rauchschwalbe.Der gebürtige Borgholzhausener Peter Schick und seine Frau Karoline Frenz sind Hufschmiede von Beruf und fahren täglich im Kreis Gütersloh von Betrieb zu Betrieb, um Pferdehufe zu pflegen. Bei der Arbeit in einem Rietberger Reitstall sah Karoline Frenz das nahezu nackte Vogelkind in einer Mistkarre sitzen. "Das Nest war ganz oben im Giebel der Reithalle", berichtet die Hufschmiedin. Auch mit der längsten Leiter habe man das Schwalbenküken nicht wieder ins Nest setzen können. "Da blieben nur zwei Möglichkeiten", sagt Karoline Frenz. "Mitnehmen oder dem sicheren Tod überlassen."
Die Hufschmiedin entschied sich für die erste der beiden Möglichkeiten. Das Küken einfach sich selbst überlassen, das brachte sie nicht übers Herz. "Wir haben mit Vögeln eigentlich nichts am Hut und dementsprechend auch keine Ahnung", gibt Karoline Frenz zu. Also musste sich die Gütersloherin erst einmal kundig machen.
Dass Rauchschwalben Insektenfresser sind, wusste die Tierfreundin bereits. Alles, was man sonst noch wissen muss, erfuhr sie aus dem Internet. Eine große Hilfe war auch eine befreundete Tierärztin, die zu Mehlwürmern als Futter riet. Die nette Dame aus einer Zoohandlung half ebenfalls. "Sie wusste, dass man Mehlwürmern den Kopf abtrennen sollte, damit sie mit ihrem Beißwerkzeug nicht die Mägen der Vogelkinder verletzen", berichtet Karoline Frenz. Also kaufte die Tierfreundin eine Packung Mehlwürmer, nahm sich ein Herz und eine scharfe Schere, schnitt den Krabbeltieren den Kopf ab und begann, das Schwalbenkind zu füttern.
Das ist inzwischen zwei Wochen her und aus dem nackten Vogelkind ist ein Schwalbenteenager in hübschem Federkleid geworden, der auf den Namen Bärbel getauft wurde und derzeit seine ersten Flugversuche unternimmt. Weil das Hufschmiedepaar fast den ganzen Tag unterwegs ist und die Schwalbe nicht alleine in der Wohnung lassen wollte, nahm es das Küken von Anfang an mit. Bärbel sitzt während der Fahrt brav in einem kleinen Pappkarton zwischen Fahrer- und Beifahrersitz und bereist derzeit den Kreis Gütersloh und seine Umgebung, ohne ein einziges Mal mit den Flügeln schlagen zu müssen.
Steigen Karoline Frenz und Peter Schick aus, um ihrer Arbeit nachzugehen, verlässt auch Bärbel das Auto, erkundet die Umgebung. Sie fliegt hinter ihren Zieheltern sogar bis in die Pferdeställe hinterher oder lässt sich in ihrer Nähe nieder und schaut ihnen bei ihrer Arbeit zu. Der Winzling ist zu einem gern gesehen Gast auf Höfen und in Reitbetrieben geworden.
Mehr als fünf Tassen voll Mehlwürmer hat das Vogelkind, das nicht schwerer ist als ein gewöhnlicher Brief, in den vergangenen zwei Wochen schon verspeist. "So groß wie am Anfang ist der Hunger jetzt zum Glück nicht mehr", sagt Karoline Frenz. Sie ist froh, dass man Mehlwürmer abgepackt kaufen kann. "Hätten wir das Schwalbenküken mit Fluginsekten füttern müssen, wie es die Eltern tun, hätten wir unseren Job aufgeben und den ganzen Tag Fliegen fangen müssen", sagt die Hufschmiedin lachend. Sie bringt den Schwalbeneltern, die pro Sommer ein bis zwei Gelege mit jeweils fünf bis sechs Schwalben großziehen, inzwischen eine gehörige Portion Respekt entgegen.
Wie lange das Schwalbenküken bleiben wird, wissen Karoline Frenz und Peter Schick nicht. "Wenn sie uns nicht mehr braucht, wird sie fortfliegen", vermutet das Paar. Das dürfte Ende August, Anfang September so weit sein. Dann sammeln sich die Rauchschwalben, um sich im Oktober auf den riskanten Weg in ihr Winterquartier nach Südafrika zu machen, auf dem sie das Mittelmeer und die Sahara überqueren müssen. Im kommenden Frühjahr werden die Schwalben - und hoffentlich auch Bärbel - wieder zurückkehren.
Bis zu ihrer Abreise wird Bärbel von ihren Pflegeeltern aber noch kräftig gefüttert und liebevoll umsorgt. "Ich möchte, dass sie eine reelle Chance hat", sagt Karoline Frenz mit Blick auf die bevorstehende Wanderschaft. Vor dem Tag, an dem Bärbel ihre Zieheltern verlassen wird, ist ihr dennoch nicht bange. "Ich kann sie problemlos gehen lassen", so die Hufschmiedin. "Bärbel ist ein Wildvogel und das soll sie auch bleiben."