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"Kein Fünkchen Kraft mehr"

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von Florian Gontek

Halle. Marc Remmert (27).
Dieser Name ist gerade den Jüngeren in der Lindenstadt bekannt und ist oftmals verbunden mit skurrilen Ideen. Remmi war es, der vor einigen Jahren das lokale Fair- und Biostreetwear-LabelDEV.Clothing ins Leben rief, und viermal einen gleichnamigen Jam organisierte, der hunderte Zuschauer an der Masch über die Sprünge von Brett- und Fahrradartisten staunen ließ. Auch Remmert ist BMXer - eigentlich. Doch in diesem Sommer setzte er sich mit Sportsfreund Ben Makrane aufs Tourenrad und fuhr über 900 Kilometer zu Freunden ins schwedische Boet. Über die Leiden zweier Freunde auf dem falschen Sportgerät.

Es regnet, als Marc Remmert und sein Kölner BMX-Kumpel Ben Makrane in Oldenburg starten wollen. Dort lebt Remmi jetzt und arbeitet im Marketing einer Firma, die Fahrräder vertreibt. Beide bekamen ihre Räder für die Tour gesponsert. So ist es also nicht nur Arbeits-, sondern auch Sportgerät, das beide zu ihren Freunden in einem Ferienhaus ins schwedische Boet bringen soll. Doch der Weg dahin ist lang und schmerzhaft.

180 Kilometer sollten es jeden Tag in etwa sein. "Zehn Stunden, ein 18er-Schnitt, das erschien uns gut machbar", erklärt Remmert. Am ersten Tag wurden es neun Kilometer mehr und das angepeilte Etappenziel dennoch verfehlt. Die Tagestour durch Delmenhorst, Bremen und Hamburg schien auf den Karten im Internet simpler, als der Ritt Richtung Küste dann wirklich war. "Um halb zwei haben wir uns hinter Hamburg auf ein Feld geworfen", erklärt der Halleverbundene Radler. Früh am Morgen ging es dann über Lübeck weiter die Ostseeküste entlang. Die gesunde Seeluft war allerdings kein gutes Omen für einen der Sportler. Während Remmert die übliche Erschöpfung - vor allem in den Beinen - merkte, plagte sich Mitfahrer Ben mit starken Magen-Darm- und Kniebeschwerden und brach die Tour nach Ankunft der beiden kurz hinter Rødbyhavn nach 360 Kilometern in Dänemark ab. "Wir sehen uns beide relativ selten, daher war das schon auch ein trauriger Moment", so der Haller BMXer. Für ihn stand jedoch fest, die Tour weiter fortzusetzen.

Mit strapaziertem Knie und Schmerztabletten ging es für ihn dann 205 Kilometer in Dänemark weiter. "Ich war schon enorm platt und habe mein Zelt mitten in der Nacht hinter einem Spielplatz in Hillerød abgeworfen." Am nächsten Tag ging es mit der Fähre von Helsingør ins schwedische Helsingborg. Knapp 600 Kilometer waren geschafft und das schwedische Hinterland vor Augen. Ohne schwedische Kronen im Portemonnaie war Remmi dabei auch auf Hilfe der Skandinavier angewiesen. "Das war echt eine klasse Erfahrung. Die Menschen waren total nett und hilfsbereit. Ich konnte mein Wasser nachfüllen und auch beim Weg wurde mir geholfen", erklärt er. Die 180-Kilometer-Tagestour war schon am frühen Abend geschafft, so dass nach einem Abendessen - eine kleine Bude nahm auch Euros - bis nachts um vier weitergefahren wurde. "An diesem Tag bin ich mit 248 Kilometern die längste Strecke gefahren", erklärt der Hobby-Modemacher, der sonst nur hin und wieder mal aufs Rad steigt.

Nach einer wenig entspannten Nacht an einer Pferdekoppel im Wald musste Remmert merken, dass dieser Ritt wohl zu viel war. "Ich hatte kein Fünkchen Kraft mehr im Körper", schildert er. Nicht mehr weit von Boet entfernt stieg er in der schwedischen Universitätsstadt Jönköping in die Bahn Richtung der nächstgrößeren Stadt nahe Boet. Allerdings spielte der Schaffner nicht mit. Fahren ja, aber ohne Tourenrad.

Die letzten 80 Kilometer zum Ziel wurde sich dann noch einmal gequält, ehe die Ferienhütte mit einigen anderen Freunden aus Halle erreicht wurde. "Ich konnte dann mit dem Auto zurückfahren." Besser so: Auch zwei Wochen nach seiner Tour, schildert er, sei diese noch nicht ganz verdaut. "Ich war noch nie so kaputt und kann noch immer nicht mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren", lacht Remmi.

Insgesamt viermal sei er im vergangenen Jahr die 153 Kilometer - die Strecke Oldenburg-Bielefeld gefahren - erklärt er. Von Strecken dieser Größenordnung haben beide erst einmal genug.


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