Von Andreas Großpietsch
Borgholzhausen.
Das Bild in dem alten, schon ein wenig zerschlissenen Fotoalbum zeigt einen jungen Soldaten, der noch fast etwas Kindliches an sich hat. Es entstand 1914, als Gustav Wacker aus Westbarthausen eingezogen wurde. Als er aus dem Ersten Weltkrieg zurückkam, schrieb man bereits das Jahr 1922, weiß Inge Kansteiner. Sie ist die Tochter des ehemaligen Soldaten, der nach seiner Rückkehr in die Heimat auf den Hof an der Wellingholzhausener Straße einheiratete, auf dem sie noch heute lebt.Und wo sie die Alben mit Bildern und Postkarten hütet, die rund 100 Jahre alt sind und als Spuren des Ersten Weltkriegs bis heute erhalten sind. Erhalten geblieben sind auch noch zwei Orden, verwahrt in einem kleinen Beutel mit der Aufschrift »Musketier Gustav Wacker«, so wie der sogenannte Militärpass ihres Vaters.
Dieser Ausweis verrät viel über die Kriegszeit Gustav Wackers. "Er hat vom Krieg auch erzählt, aber immer nur in Anekdoten und lustigen Geschichten", erinnert sich Inge Kan-steiner. Und viel spricht dafür, dass seine Zeit im Krieg vergleichsweise weniger schrecklich war als die vieler seiner Kameraden. Denn Wacker diente vier Jahre lang als Ordonnanz eines Hauptmanns im Infanterie-Regiment Nr. 152.
"Er musste Wäsche waschen und Essen holen, aber dafür war er eben nicht in der vordersten Front. Das Donnern der Geschütze hat er wohl gehört, aber das ganz Fürchterliche ist ihm wohl erspart geblieben", mutmaßt seine Tochter. Das scheinen auch einige Fotos aus seiner aktiven Soldatenzeit zu belegen, auf denen er in Szenen zu sehen ist, die mehr an ein Pfadfinderlager als an Krieg denken lassen. Auch Feldpostkarten aus dem ersten Kriegsjahr mit den damals sehr beliebten satirischen Zeichnungen scheinen das zu belegen.
Da verhaut ein deutscher Soldat einen französischen mit einem Knüppel und verkündet, dass auch die angeblich schon vor Angst schlotternden Belgier, Russen und Engländer noch an die Reihe kommen würden. Auf einer anderen Karte liefert ein deutscher Soldat dem deutschen Michel einen »Sack voller Lumpen«, sprich Kriegsgefangenen und Kriegsbeute ab. Ein drittes Bild zeigt eine gezeichnete Version der heldenhaften Erstürmung von Lüttich durch deutsche Truppen, die eher an antike Vorbilder erinnert und mit der maschinenhaften Zerstörung und dem massenhaften Tod der kämpfenden Soldaten aller Seiten nichts zu tun hat.
Näher an die Realität führt da schon der genaue Blick auf den Militärpass. Einzelne Stationen des Musketiers Wackers sind dort verzeichnet, einige besondere Vorkommnisse wie die Verleihung des Eisernen Kreuzes 2. Klasse am 19. Juni 1917. Aber kein Heimaturlaub ist darin verzeichnet.
Dafür finden sich zwei offenbar nachträglich eingeklebte, bedruckte Zettel, die den Weg des Infanterieregiments 152 durch den Krieg nachzeichnen. »Stellungskampf an der Lonza« und »Gefechte an der Düna und vor Jakobstadt« sind dort aufgelistet. Zwei Jahre lang war Gustav Wacker an der Ostfront eingesetzt, um dann ab 1916 an einem Feldzug gegen Rumänien teilzunehmen. Im Jahr 1917 verschlug es ihn dann auch noch an den westlichen Kriegsschauplatz nach Frankreich. Sein Regiment kämpfte dort unter anderem in der Herbstschlacht in Flandern und gegen englische Panzer, die damals auch in deutscher Sprache noch »Tanks« genannt wurden. Und dort irgendwo in Nordfrankreich oder Belgien endete der Krieg auch für Gustav Wacker - einerseits. Er geriet mit dem Beginn des Waffenstillstands 1918 in englische Kriegsgefangenschaft und kam in ein Gefangenenlager nahe der belgischen Grenze.
"Vier Jahre musste er dort bleiben, ist erst 1922 nach Hause gekommen", sagt Inge Kan-steiner. Eigentlich habe er Lehrer werden und in den deutschen Kolonien in Afrika arbeiten wollen, weiß sie zu berichten. Stattdessen wurde er Landwirt auf dem »Hollande«, wie die Gegend an der Wellingholzhauser Straße noch heute heißt. "Meine Mutter kannte er schon vor dem Krieg", erzählt seine Tochter, die 1933 geboren wurde. "Als er zurückkam, war seine Jugend vorbei", sagt sie nüchtern. Und klappt das Album mit dem Foto des jungen Soldaten, der erst vier Jahre nach Kriegsende wieder nach Hause kam, zu.