Von Uwe Pollmeier
Halle.
Zwischen dem allerletzten Schultag und dem Start ins Studium, in den Beruf oder in die Ausbildung liegt in der Regel eine feierliche, anekdotenreiche und nicht zuletzt amüsante Abschlussfeier im Kreise von Lehrern, Schülern und Eltern. Nicht so bei den Haller Realschülern des Abschlussjahrgangs 2014. Ihnen hatte Schulleiter Dirk Hansen in Absprache mit dem Kollegium dieses einmalige Erlebnis gestrichen, da sich, so Hansen, die Schüler zuvor alles andere als angemessen verhalten hätten. Eine Woche vor der Feier habe ein demoliertes Auto einer Lehrerin das Fass zum Überlaufen gebracht. Die Schuld wurde, die zuvor beschriebenen Folgen inklusive, pauschal den Abgängern zugeschrieben. Eine Vorverurteilung, die auch zwei Wochen danach einige Schüler richtig wütend werden lässt."Wir hatten in der Abschluss-AG fast ein halbes Jahr lang alles für eine schöne Abschlussfeier vorbereitet", zeigt sich Nina B. (Name geändert) verärgert. Sicherlich habe man in der Vergangenheit auch mal ein paar Schülerstreiche ausgeheckt, aber nun alle pauschal für eine Tat zu bestrafen, deren Verursacher bis heute nicht ermittelt werden konnten, gehe einfach zu weit.
"Wer sagt denn, dass es Schüler aus der zehnten Klasse waren", sagt die 16-Jährige. Das Auto habe am helllichten Tag auf dem Lehrerparkplatz gestanden, der zudem öffentlich zugänglich sei. "Es gibt keinerlei Vermutungen, wer das gemacht haben könnte. Nicht einmal Gerüchte unter den Schülern", sagt Nina. Ungewöhnlich, gerade in Zeiten, wo sich Jugendliche sekundenschnell über soziale Netzwerke und mit sofortiger Nachrichtenübermittlung per Smartphone gegenseitig informieren. Polizeisprecher Karl-Heinz Stehrenberg bestätigt auf HK-Anfrage, dass die Ermittlungen zu dem Vorfall vom 17. Juni noch liefen und der Täter noch nicht gefasst sei.
Ninas Mutter Sabine B. (Name geändert) ist ebenfalls verärgert darüber, dass man ihrer Tochter und vielen unschuldigen Jugendlichen das einmalige Erlebnis eines feierlichen Abschlusses genommen hat. "Es hat in diesem Jahrgang immer mal Probleme gegeben. Aber man kann dann doch nicht erst in Klasse 10 den Kollektivhammer der Bestrafung rausholen und draufhauen", sagt B. verständnislos. Es sei völlig überzogen und falsch, alle Schüler über einen Kamm zu scheren. Anfangs seien direkt drei Schüler der Täterschaft bezichtigt worden, da sie zum Kreis der in solchen Fällen üblichen Verdächtigen zählten. Sie seien zunächst von der Abschlussveranstaltung ausgeladen worden, dann aber doch wieder eingeladen worden.
Die Schüler, die während der Feier gefehlt haben, waren entgegen ersten Aussagen nur deshalb nicht in der Aula, weil sie eine Woche nach dem Ende der offiziellen Schulzeit bereits im Urlaub waren. Trotz des ganzen Ärgers habe man nach der Zeugnisübergabe noch im Klassenverbund für sich gefeiert, sogar gemeinsam mit den jeweiligen Klassenlehrerinnen.
Die Eltern sind erst einen Tag vor der geplanten Feier per Brief darüber informiert worden, dass es statt Sektempfang und lustigen Anekdoten nun mahnende Worte und im Wassereimer wartende Rosen in Selbstbedienung geben wird. "Wir haben keine Chance mehr gehabt, uns dagegen zu wehren", sagt Sabine B. Die Schuld für diesen ärgerlichen Verlauf sieht sie in erster Linie bei den Pädagogen. "Kinder nehmen sich doch immer nur das raus, von dem sie wissen, dass sie es sich bei der jeweiligen Person auch erlauben können. Aufgabe der Lehrer wäre es doch gewesen, dieser Entwicklung frühzeitig entgegenzuwirken. Und dass nicht mit einer Pauschalverurteilung in letzter Instanz und ohne Wiedergutmachungschance.
Diese jüngste Entscheidung lasse die Schule nun nicht in einem guten Licht erscheinen, ist sich Sabine B. sicher. Für ihre Tochter tut es ihr leid, vor allem auch, weil sie durch ihr Mitwirken in der Abschluss-AG viel Freizeit in die Vorbereitungen gesteckt hatte. "Wir wollten Auszeichnungen für den sportlichsten oder den faulsten Schüler verteilen und hatten ein aufwendiges Video gedreht", sagt Nina B. Und auch die mühselig mit Silberfarbe angepinselten Buchstaben, die den Schriftzug "Remember the Times" ergeben sollten, haben längst ihr Ende in der Altpapiertonne gefunden. Sicherlich seien Kleinigkeiten vorgefallen, so etwa die mit Kreide bemalten Wände, die aber umgehend von geständigen Schülern wieder gereinigt wurden.
Die Textnachricht einer Lehrerin, die im Sinne der Schüler die Abschlussfeier retten wollte, fand Nina gut. "Aber wir konnten doch nichts zugeben, was wir nicht gemacht haben", zeigt sie sich ratlos. Selbst wenn es Schüler des Abschlussjahrgangs gewesen seien, dann nur wenige. "Damit hat man aber zugleich gut 100 unschuldige Schüler bestraft", sagt Sabine B. Den Tätern sei mit dieser voreiligen Entscheidung eine unglaubliche Macht verliehen worden.