Von Alexander Heim
Borgholzhausen.
Da sitzen sie, die beiden Enkel, und sind noch so gar nicht müde. Gut, dass die Großmutter stets schöne Geschichten parat hat, Märchen zum Beispiel, aus denen sie ihnen vortragen kann. Etwa jenes von einem Freiheitskämpfer, der um 1300 in der Schweiz lebte und sich durch seinen Mut und seine Taten auszeichnete. So beginnt sie, die Geschichte um Wilhelm Tell in der Inszenierung der PAB-Gesamtschüler. Am Dienstagabend lud der Literaturkurs Q 1 zur Premiere seiner Inszenierung ein. Und begeisterte die rund 130 Besucher ebenso, wie es ihm gelang, die Gäste mit viel Spielfreude, Spannung und viel Anregung zum Nachdenken zu fesseln.Hätten sie sich einen besseren Termin für ihre Premiere aussuchen können, als eben jenen, an dem die Schweizer Mannschaft in Brasilien (allerdings vergeblich) um den Einzug ins Viertelfinale kämpfte? Schließlich ist doch auch Wilhelm Tell eben jene Geschichte, die den Weg der Schweizer Genossen weg von der Unterdrückung der Habsburger nachzeichnet. Im Mittelpunkt: Wilhelm Tell (Aytürk Gecim), dessen Lebens-Maxime lautet: »Wer gar zu viel bedenkt, wird wenig leisten«. Einer, der seinen Weg zu gehen weiß. Gilt doch in seiner Welt: "Der Starke ist am mächtigsten allein."
So ist er es, der sich in Gefahr bringt, um Konrad Baumgarten (Lukas Peper) zur Flucht zu verhelfen. So wird er zum allseits geschätzten Mitbürger. Bis er es wagt, den Hut des Landvogtes Gessler nicht zu grüßen. Unglaublich überzeugend zeichneten die jungen Darsteller des Literaturkurses Q 1 die Charaktere nach. So ließ sich die Zerrissenheit des Ulrich von Rudenz (Frederic Bussmas) spüren, so pulste die Energie seiner Freundin Berta (eine tolle Elena Garrido Lüneburg) im Raum, die nicht müde wurde, den Wind der Veränderung zu preisen. Mit großer Präsenz stellte Linda Schöwerling das in der Inszenierung zum Mädchen gewordene Kind Tells dar. Und Aytürk Gecim absolut überzeugend den heroischen Tell.
Kunstkniffe? Ja, auch die gab die Aufführung des Literaturkurses her. Geschickt wurde die Geschichte mit einem Märchenabend verwoben. Die Enkelkinder (Jenifer Locke und Cara Striekmann) waren zu diesem Zweck stets beim Spiel auf der Bühne als Zuschauer mit präsent. Der zwiegespaltene Charakter des Vogtes Gessler wurde gleich von zwei Darstellern (Niklas Wolf und Lorena Sandek) gleichzeitig dargestellt. Und immer wieder wurden andere Teile der Aula als nur die Bühne zum Schauplatz des Geschehens.
Dass der Vokalpraxiskurs das Drama musikalisch untermalte, war das eine. Die Liederauswahl der Schülerinnen und Schüler aber setzte einen weiteren Kontrapunkt zur Geschichte, spannte die Brücke auch in das Hier und Jetzt. Nicht nur, wenn es hieß: »Gerade nur die Schweiz retten«. Wann gilt es, Missstände nicht länger hinzunehmen? Und was ist dabei der richtige Weg?
Im März 1804 wurde Friedrich Schillers Wilhelm Tell im Weimarer Hoftheater uraufgeführt. Eine Geschichte um Revolution? Eine Darstellung des Kampfes um die persönliche Freiheit? "Friedrich Schiller", erzählt Deutsch-Lehrer und Literaturkurs-Betreuer Lars Flömer, "war ein Freund der Veränderung. Aber er war erschrocken vom Verlauf der Französischen Revolution. Man kann Wilhelm Tell als Kommentar dazu lesen. Als Darstellung, wie eine gerechtfertigte Revolution ablaufen könnte - ohne Blutvergießen."
"Für die Nationalsozialisten", führt Deutschlehrer Lars Flömer dann noch aus, "war Wilhelm Tell anfangs noch ein Heroenstück." Später allerdings wurde es im Dritten Reich verboten. Zu groß war die Angst, dass der Funke der Revolution auf die Menschen hätte überspringen können und Tell das Vorbild für einen potenziellen Attentäter schlechthin hätte werden können.
Im Oktober 1989 wurde Wilhelm Tell im Schauspielhaus Schwerin aufgeführt, die Darsteller riefen damit mehr oder minder offen zur Revolution auf. Honoratioren der DDR, die zu Gast waren, verließen die Vorstellung. Der Rest ist Geschichte.
Der Kunstkurs Q 1 steuerte für den Abend der Aufführung eine Auswahl der im vergangenen Schuljahr entstandene Werke zum Thema »Was ist der Mensch?« bei. Zudem zeichneten die Schülerinnen und Schüler für das wirklich hervorragende Catering verantwortlich.
So hatte Schulleiterin Ursula Husemann am Ende des Abends allen Grund, sich bei Schülern, aber auch bei den Lehrern Lars Flömer, Sebastian Wittler und Wilma Pilz für diese wirklich gelungene Aufführung zu bedanken. Sie tat dies entsprechend gerne und merklich mit großer Freude.
Wer Wilhelm Tell schon lange nicht mehr gesehen und nun Lust bekommen hat, den Schweizer einmal wieder zu erleben: Heute Abend lädt der Literaturkurs Q 1 zu seiner zweiten Aufführung ein. Beginn ist um 19 Uhr in der Aula der PAB-Gesamtschule Borgholzhausen, Einlass ist 18.30 Uhr.