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Schneller als Lahm

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Von Carolin Hlawatsch

Halle/Canela. Fußball und Brasilien, wohin man nur hört und guckt. Außerhalb der WM-Stadien zeigen die Bilder das südamerikanische Land von der Zuckerhutseite mit Copacabana, Sambatänzerinnen und grünem Regenwald oder auch von dessen Kehrseite mit Armenvierteln, deren Hütten sich wie bunte Streichholzschachteln die Berghänge hochziehen und in denen Kriminalität an der Tagesordnung ist. Brasilien kann aber noch ganz anders sein. "In der Region Serra Gaúcha ganz im Süden ist Brasilien europäischer als Europa", stellte HK-Mitarbeiterin Carolin Hlawatsch fest, als sie im Vorfeld der WM Südamerika bereiste.

Zwei Stunden Busfahrt sind es von Porto Alegre und somit von der Stadt, in der vier Vorrundenspiele und am Montag das Achtelfinale mit Jogis Elf als wahrscheinlichem Protagonisten ausgetragen werden, bis in das 40 000-Einwohner-Städtchen Canela. Kaum den Fuß aus dem Bus gesetzt, hat man das Gefühl eher in Süddeutschland oder Österreich zu sein als in Brasilien. Am Rand von Tannenwäldern stehen Schwarzwaldhäuschen, Orts- und Ladenschilder tragen teilweise deutsche Namen, das Straßenbild wirkt »wie geleckt«. Ein Alpenidyll, wie es auch im Disneyland hätte nachgebaut sein können, mit Schokoladenfa-brik und ganzjährig geöffnetem Weihnachtskugel-Souvenir-Shop. Was für ein Kulturschock nach fast einem Jahr Zentral- und Südamerika-Rundreise.

Die Region rund um Canela weist in Brasilien die höchste Dichte an deutschen Einwanderern aus. Die meisten kamen Ende des 19. oder Anfang des 20. Jahrhunderts und scheinen ihre Traditionen von damals noch heute akribisch zu pflegen. Schützen- und Oktoberfeste mit Trachten und Blasmusik werden größer gefeiert als bei uns in Deutschland. Und zu Weihnachten kann in dieser Region Brasiliens auch schon mal Schnee liegen. Diese urige Andersartigkeit reizt viele gut betuchte brasilianische Touristen, die das ganze Jahr über in den schicken Hotels in Canela oder im benachbarten, noch angesagteren Urlaubsort Gramado einchecken und dort in edlen Boutiquen einkaufen gehen. Zudem lockt der Naturpark Caracol mit einem beeindruckenden Wasserfall.

Von dort aus zurückgewandert Richtung Canela liegt auf der Strecke das »Castelinho«, ein kleines Schloss im Schweizer Stil. Dort kann man sich mit einem der berühmtesten Apfelstrudel der Gegend stärken und dabei im nostalgischen Teesalon ausruhen. Das von der Familie Franzen um 1913 erbaute Schloss ist heute ein Museum, in dem man Einblick in die Lebensweise der deutschen Einwanderer bekommt.

Dort können Besucher sogar Informationen auf Deutsch erhalten und später in Canela eine deutsche Zeitung lesen. Man muss sich als Westfale aber erst einhören in das Deutsch, das dort in der sechsten Generation gesprochen wird. Eine Mischung aus Hunsrücker Dialekt und eingemischten portugiesischen Begriffen. Die deutschsprachigen Einwohner sagen zum Beispiel zu ihren Dörfern Kolonien. Das aktuell sicher am häufigsten benutzte Wort »Futebol« versteht hier aber jeder.


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