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Hier schließen sich Lebenskreise

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von kerstin spieker

Werther.
Für manche der Besucher der Seniorentagesstätte Haus Tiefenstraße ist es, als ob ein Kreis sich schlösse. Da verbringen sie im Herbst ihres Lebens manch gesellige Stunde dort, wo sie bereits als Kinder Gemeinschaft erlebt haben. Bevor nämlich aus dem Haus an der Tiefenstraße hinter der Jacobikirche ein Ort wurde, an dem sich vor allem ältere Menschen treffen, war das Haus ein Kindergarten. Der 25. Geburtstag der Tagesstätte in diesem Jahr ist ein guter Anlass, auf die wechselvolle Geschichte des Hauses zurückzuschauen.

1877 begann die Geschichte des Hauses als ein Ort menschlicher Gemeinschaft. Angeregt durch die Ravensberger Erweckungsbewegung ergriffen einige Wertheraner Geschäftsleute die Initiative und eröffneten am 3. Dezember den Kindergarten in der Tiefenstraße. Zunächst bot die junge Einrichtung 30 Kindern Platz. Die Wertheraner hatten in Bethel um die Entsendung von Diakonissen gebeten und die leiteten denn auch bis in die 70er Jahre des 20. Jahrhunderts den Kindergarten.

Gefahr für seine Einrichtung sah der evangelische Trägerverein mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten heraufziehen. Um jeden Preis wollte man verhindern, dass Erzieherinnen mit nationalsozialistischer Überzeugung das Regiment an der Tiefenstraße übernahmen. Am 16. Juni 1938 gab der letzte Vorsitzende des Trägervereins, Zigarrenfabrikant Paul Otte, die Einrichtung in die Hände der evangelischen Kirchengemeinde, in der Hoffnung, die könne das Haus besser vor dem Zugriff der »braunen Schwestern« schützen.

Das Kalkül ging auf. Die evangelische Kirchengemeinde bewies Rückgrat und im September 1941 beschloss das Presbyterium ausdrücklich, dass der Kindergarten evangelisch bleiben müsse und es keinerlei Verhandlungen bezüglich einer Übernahme durch Nazis nahestehende Verbände geben könne. Und tatsächlich: Der Kindergarten an der Tiefenstraße blieb unbehelligt und erst 1971 ging mit Hedwig Hahne die letzte Diakonisse dort in den Ruhestand.

Aber nicht nur das Betreuungsteam im Kindergarten hatte sich im Laufe der Jahre verändert - den Diakonissen folgten ausgebildete Erzieherinnen. Auch die Zahl der Kinder war gewachsen und mit ihr das Haus. Bis 1985 gab es eine Reihe von Umbauten und vor allem Erweiterungen, um sich den neuen Aufgaben anzupassen. Schließlich aber konnte das alte Haus den baulichen Anforderungen der Aufsichtsbehörden einfach nicht mehr genügen. Ein neuer Kindergarten »Im Viertel« entstand in Sichtweite.

Plötzlich hatte alles Leben das alte Haus verlassen und die evangelische Kirchengemeinde stand vor der schwierigen Frage nach einer möglichen Zukunft der Immobilie.

Gerade zu dieser Zeit wurden in der Wertheraner Nachbarschaft eine Reihe von Einrichtungen gegründet, in denen ältere Menschen Freizeit verbringen und Gemeinschaft finden können. Und so übernahm in Werther Pfarrerin Christa-Marlene Staschen federführend die Planung für ein entsprechendes Haus in der Böckstiegelstadt. Zwei Jahre wurde geplant. Dann ging es in die Bauphase und am 7. Oktober 1989 schließlich eröffnete das Haus Tiefenstraße.

Ein emsiger Arbeitskreis von Freiwilligen entwickelte und begleitete zunächst in Eigenregie ein Programm, das das Haus mit Leben füllen sollte. Nach einiger Zeit war klar, dass das allein durch die freiwilligen Helfer nicht zu leisten war. So wurde Gudrun Herwig im Februar 1990 erste hauptamtliche Leiterin der Einrichtung.

Damals wie heute gab es feste Öffnungstage, die mit wiederkehrenden Terminen wie Kegeln, Gymnastik, Gesprächs- oder Handarbeitskreisen gefüllt waren. Der Dienstag ist ein Tag für Sonderprogramme wie zum Beispiel Lichtbildervorträge, die in andere Länder und Kulturen entführen. Und den Klönnachmittag bei Kaffee und Kuchen mögen sich viele ältere Menschen aus ihrem Leben gar nicht mehr wegdenken.

Das müssen sie auch nicht, da über all die Jahre die Gruppe der Freiwilligen sich stets erneuert hat und das Team der jetzigen Leiterin Claudia Seidel etwa 30 ehrenamtliche Mitarbeiter umfasst. Jeder von ihnen leistet 900 bis 1000 Einsätze im Jahr. So werden immer mal wieder Kurse angeboten, Tanztee, jede Menge Bewegung steht auf dem Programm und sogar Angebote für Angehörige von Menschen mit Demenz kann das Haus heute machen.

"Das funktioniert nur, weil wir mit vielen Institutionen kooperieren", sagt Claudia Seidel. Ob die Diakonie, die Volkshochschule oder der TV Werther, mit allen stellt das Team Haus Tiefenstraße Dinge auf die Beine, "die wir allein gar nicht schultern können", wie die Leiterin gern einräumt. Nach dem Grundsatz offene und durchaus auch generationsübergreifende Arbeit leisten zu wollen, ist das Haus Tiefenstraße bei den Ferienspielen dabei, bietet mit dem Familienzentrum Fam.o.S. einen Spielenachmittag für Jung und Alt und nimmt auch gern Konfirmandenpraktikanten auf, die Zeit mit den älteren Menschen verbringen. Und dann gibt es da Programmpunkte im Terminkalender, die haben mit dem Selbstverständnis des Hauses zu tun und sind über die Jahre unverrückbar bestehen geblieben: so die Wochenabschlussandacht am Freitagnachmittag.

"Der Grundsatz unseres Konzeptes, nach dem wir hier arbeiten, ist, dass Menschen sicher und im Vertrauen alt werden, dass da Leute sind, die sie unterstützen, wenn es mal nicht so gut geht", machte Claudia Seidel deutlich. Gemeinsam mit allen Mitarbeitenden im Haus freut sie sich auf die bevorstehende Geburtstagsfeier im Haus Tiefenstraße. Am Sonntag, 29. Juni, soll es so weit sein. Auf die Geburtstagsgäste warten dann nicht nur kulinarische Genüsse, sondern auch jede Menge buntes Programm, mit dem sich die Einrichtung allen Interessierten empfiehlt.


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