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»Carlo« räumt den Platz im Tor

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Von Heiko Kaiser

Halle.
Wenn ein so unruhiger Geist wie Wolfgang Tarner von Ruhestand spricht, müssen einfach Zweifel aufkommen. Doch »Carlo«, wie er nur genannt wird, hat sich entschieden: Nach 40 Jahren Handball soll Schluss sein. Samstag wird der 59-Jährige zum letzten Mal im Tor der Haller Zweiten stehen. Danach hängt er den gelben Sweater an den Haken.

"Ich habe in meinen Pass geschaut und festgestellt, dass es Zeit wird", sagt Tarner lachend. Im Altkreisduell der 2. Kreisklasse ist Spvg. Versmold III in der Sparkassenarena daher »Carlos« letzter Gegner. Ursprünglich wollte er erst dann aufhören, wenn irgendjemand am Spielfeldrand unkt: "Wieso ist der Alte denn noch immer dabei." Das allerdings ist noch nicht passiert und würde so schnell auch nicht geschehen. Zu gut ist Tarner auch mit seinen knapp 60 Lenzen noch.

Dabei ist »Carlo« ein Spätstarter. Erst im Alter von 20 Jahren begann er mit dem Handball. In der Saison 76/77 stieg er beim SC Halle voll in den Spielbetrieb ein. Tarner hat das alles dokumentiert. In einem grauen Leitz-Ordner sind sämtliche Spielergebnisse der Saison handschriftlich eingetragen. "Hier, im Oktober 1976 haben wir gegen Hörste 8:7 gewonnen", sagt er und tippt auf die entsprechende Zeile - sieben Gegentore. Paradiesische Zeiten für Torhüter.

Tarner hat alle Zeitungsartikel archiviert. Über seine Spiele und später auch die seiner Söhne Sascha und Silvan. "Ich bin eben ein Schreibtischtäter", sagt Tarner und zuckt mit den Schultern, als sei gegen diese Leidenschaft einfach nichts zu machen. So ist es möglich Einblicke in die Meilensteine einer langen Handballkarriere zu nehmen. Die Artikel berichten von seinem ersten Trainer Dieter Balls-Thies, von den Erfolgen Anfang der 80er Jahre, als der SC mit Trainer Helmut Lakebrink und Spielern wie Peter Gansfort, Harald Werft, Ulrich Noske oder Friedhelm Schöning nur ganz knapp den Landesliga-Aufstieg verpasste. "Das war schade, wirklich schade", sagt Tarner so, als wäre es gerade gestern passiert. Lakebrink war es auch, der ihm den Spitznamen »Carlo« verpasste. Warum, das weiß Tarner heute selbst nicht mehr.

Stolz präsentiert er den Original-Spielbericht vom 20. Dezember 1980, als der SC in der Masch gegen den Bundesligisten TuS Nettelstedt mit seinen Stars Milan Lazarevic, Jimmy Waltke, Zdrarko Miljak und Klaus Wöller antrat. Der Spielbericht dokumentiert Nettelstedts 30:14-Erfolg.

Auch nachdem aus dem SC 1982 die HSG Halle geworden war, blieb Tarner Torhüter der ersten Mannschaft - bis 1990. Samstag endet nun auch die Karriere in der zweiten Mannschaft. Und egal, ob SC, HSG oder heute Union ’92 - Carlo Tarner ist der gleiche Typ geblieben. Einer, der von sich selbst sagt, dass Willenskraft und die Fähigkeit zu antizipieren seine großen Stärken waren. Noch einmal geht sein Blick zurück, in die Zeiten, als Derbys zwischen Halle und Hörste oder Künsebeck bis zu 800 Zuschauer in die Masch lockten. Während er davon erzählt, sind seine Hände und Arme ständig in Bewegung, ganz so, als gelte es stets unsichtbare Bälle abzuwehren.

Es gibt Handballtorhüter, die strahlen Ruhe und Gelassenheit aus. Zu ihnen hat Tarner nie gehört. Der lange Schlaks steht ständig unter Strom. "Manchmal bin ich zu impulsiv", gibt er zu. Auch heute noch. Egal in welcher Klasse. Carlo Tarner ist immer in Bewegung. Er feuert seine Vorderleute an, er schimpft, motiviert und wenn er den Ball abwirft, kommt es schon einmal vor, dass er die Feldspieler anschließend einige Meter begleitet.

Nach dem Abpfiff sieht man ihn oft mit einem Handtuch um den Hals am Spielfeldrand stehen - ein derartiges Engagement ist eben schweißtreibend. Samstag wird er ein letztes Mal alles geben. Das ist selbstverständlich für einen, der von sich sagt: "Ich war immer leistungsorientiert. Halbe Sachen sind nicht mein Ding." Ob er überhaupt ohne Handball auskommen kann? "Ich weiß es nicht", sagt er nach kurzer Überlegung. Carlo Tarner ist ehrlich, auch zu sich selbst. Fest steht, dass er weiterhin am freitäglichen Training teilnehmen wird und auch bei Turnieren dann und wann den Platz zwischen den Pfosten einnehmen will. Wie gesagt, wenn einer wie »Carlo« von Ruhestand spricht, sind Zweifel durchaus berechtigt.


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