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Ein Klassiker als Leidenschaft

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Von Claus Meyer

Werther.
Auch nach 34 Jahren weiß Karl-Friedrich Anwander noch das exakte Datum: "Das war am 7. März." Und es war bei einer Geburtstagsfeier seiner Patentante in der Senne. Ein laufbegeisterter Cousin schwärmte vom Hermannslauf, der in wenigen Wochen zum neunten Mal über die Bühne gehen sollte. Anwander, immer gut zu Fuß, aber nicht wirklich leistungsorientierter Leichtathlet, hörte genau hin und sagte sich: "Den schaffe ich auch." "Schaffst du nicht", war sich der Cousin sicher. Aus der Idee von 1980 ist längst eine große Leidenschaft geworden. Am Sonntag startet der 71-jährige Karl-Friedrich Anwander zum 32. Mal beim Klassiker von Detmold nach Bielefeld.

"Am nächsten Tag fing ich mit dem Training an", erinnert sich Anwander an den März 1980. Jeden Tag bis zum Wettbewerb ging es auf die Piste, die Umfänge steigerte Anwander kontinuierlich. In Lemgo kaufte er sich seine ersten Laufschuhe. Ein ganz einfaches Modell, von der Herzogenauracher Firma mit den drei Streifen. "Ich war vorher kein Läufer, habe aber immer eine gute Ausdauer gehabt, sagt Anwander. "Und ich war anfangs ganz schön verklemmt", erinnert er sich schmunzelnd. "Wenn die Leute mich beim Laufen sahen, dachte ich immer, die hielten mich für arbeitsfaul."

Sein Talent beweisen die Zeiten. Karl-Friedrich Anwander holt eine Liste mit allen seinen bisherigen 31 Teilnahmen aus seinem Hermannslauf-Aktenordner. 2:01,35 Stunden stehen als Bestzeit von 1982 zu Buche, was Gesamtrang 36 bedeutete. Damals war er 39 Jahre. Im vergangenen Jahr erreichte der in

Werther-Rotingdorf
lebende Anwander das Ziel an der Sparrenburg nach 2:36,17 Stunden. Das brachte ihm mit fast zehn Minuten Vorsprung auf den zweitplatzierten Herforder Heinrich Vollbracht den Klassensieg in der M 70.

Kurze Zeit nach der Hermannslauf-Premiere trat Anwander dem TuS Solbad Ravensberg bei. Der damalige Vorsitzende Friedhelm Boschulte hatte ihn zu dem Schritt bewegt. "Ein Vereinsmeier bin ich aber bis heute nicht", sagt Anwander, der rund 50 Marathons in seinem Leben gelaufen ist. Seine intensive Vorbereitung auf den Klassiker - drei bis vier Mal die Woche absolviert der 71-Jährige "lange und langsame" Läufe - bestreitet er zu "90 Prozent" allein. Anfang Februar geht es los. Dienstags und donnerstags nimmt er gelegentlich an Trainingsläufen des LC Solbad teil. Mit dem Fahrrad geht’s dann zum Ravensberger Stadion nach Borgholzhausen - um auf das persönliche Pensum zu kommen. "Denn die 60 Minuten, die dort gelaufen werden, sind mir zu wenig", sagt Anwander.

Seit seinem Debüt 1980 hat Anwander den »Hermann« nur drei Mal verpasst - 1984, 1985 und 2000. Zweimal fiel der Tag des Wettbewerbs auf die Konfirmation seiner Kinder. Einmal gab er dem Bremer Marathon den Vorzug. "Ich bin nicht Sklave meines Hobbys", sagt Anwander. Bis heute läuft er ohne Uhr, kein GPS hilft ihm, die Länge der Trainingsstrecken zu ermitteln. Die Vorbereitung ist bei Anwander ganz unwissenschaftlich. "Vor 20 Jahren habe ich es mal mit Mineralstofftabletten probiert", sagt der Vater dreier Kinder und Großvater dreier Enkel. Dabei geblieben ist er nicht. Immerhin: Früher hat er mal ein »TR« für Training im Kalender vermerkt. Und manchmal, sagt Karl-Friedrich Anwander, werde er nervös, wenn andere von ihren Trainingsumfängen erzählen oder sich am Hermannsdenkmal vor dem Start professionell mit wärmendem Sportöl einreiben.

"Der Hermann hat mir immer viel Spaß gemacht. Er hat den Hauch von Abenteuer", sagt Anwander über seine Leidenschaft. Die Steigung am Tönsberg und die Lämershagener Treppen gehe er mittlerweile hoch. "Früher war das anders", sagt Anwander. Die größte Herausforderung sind für ihn aber ohnehin die Stufen hinter der Gaststätte Eiserner Anton, rund fünf Kilometer vor dem Ziel. "Von denen wird nie geredet. Dabei sind die wirklich schwierig."

Seit er im Ruhestand ist, hat Karl-Friedrich Anwander festgestellt, dass die Disziplin manchmal leidet. "Als Rentner kann ich sagen: ,Dann laufe ich halt morgen’." Als er noch als Angestellter im Erziehungsdienst im Bielefelder Rolf-Wagner-Haus arbeitete, hat er wiederholt seine Schützlinge fürs Laufen begeistert. "Einmal standen fünf von ihnen mit am Hermannsdenkmal", sagt er. Durchgehalten haben sie alle.

"Meine Frau macht sich manchmal Sorgen", sagt Anwander. Er beruhige sie dann: "Wenn ich nicht mehr kann, gehe ich." Und so wird er auch am Sonntag nach 31,1 Kilometern das Ziel kurz vor der Sparrenburg erreichen, zum 32. Mal. Und erneut wird er seinen Cousin Lügen strafen, der sagte: "Das schaffst du nicht." Damals, im März 1980 bei der Geburtstagsfeier der Patentante.


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