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Gezeichnet von der Flucht

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Die Syrer kommen nicht als Asylbewerber nach Deutschland, sie gelten als Flüchtlinge und genießen damit einen anderen Status. „Als Flüchtlinge haben sie vom ersten Tag an in vielem die gleichen Rechte wie deutsche Staatsangehörige”, erklärt Hildegard Kempf. Das bezieht sich vor allem auf Sozialleistungen und die Arbeitserlaubnis. Flüchtlinge bekommen Hartz IV und dürfen direkt eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen. Hört sich gut, bringt in der Praxis aber viele Probleme mit sich. Da die Flüchtlinge keine Asylbewerber sind, dürfen sie eigentlich auch nur in besonderen Härtefällen im Asylbewerberheim leben. Das heißt, sie brauchen möglichst schnell eine Wohnung - und das ist schwierig. Denn obwohl die Miete - wie bei Hartz-IV-Empfängern - vom Staat übernommen wird und somit für Vermieter kaum finanzielles Risiko besteht, findet sich kaum jemand, der bereit ist an die syrischen Flüchtlinge zu vermieten. Hildegard Kempf hilft den Leuten, die weder sprachlich noch im Hinblick auf die kulturellen Gepflogenheiten in der Lage sind, selbstständig den Wohnungsmarkt zu durchforsten. Doch selbst mit der Stadtverwaltung im Rücken scheinen Vorurteile bei Vermietern nicht auszuräumen zu sein. Zwar haben einige Flüchtlinge hier Verwandte, die bereits vor ihnen das Land verlassen haben und ihre Familienangehörigen nun nach Kräften unterstützen, doch auch deren Hilfsmöglichkeiten sind begrenzt. Sind sie doch selbst oft in finanziell und sozial prekären Situationen. Auch die Aufnahme einer Arbeit gestaltet sich schwerer als gedacht. „Es fehlen natürlich zuerst die Sprachkenntnisse”, sagt Hildegard Kempf. Zwar haben die Syrer als Ausländer mit Flüchtlingsstatus das Recht, an den Integrationskursen teilzunehmen, die in Versmold vom CJD angeboten werden, doch leider steht vor dem Sprachenlernen die Schrift. „Viele müssen erst alphabetisiert werden”, sagt Kempf, und diese Kurse werden nur in Halle angeboten. Und selbst die Syrer mit guter Schulbildung müssen die lateinischen Buchstaben erlernen, da sie bislang oft nur die arabischen Schriftzeichen kennen, sagt Hildegard Kempf. Trotzdem nimmt die Ausländerbeauftragte bei den Flüchtlingen viel Bereitschaft voranzukommen und ein großes Engagement wahr. „Sie richten sich darauf ein, hier dauerhaft zu leben”, bestätigt auch Fachbereichsleiter Hans-Jürgen Matthies. Das Flüchtlingsvisum gelte zwar zunächst für zwei Jahre, aber die Chancen auf Verlängerung seien gut. „Die Syrer wollen hier sesshaft werden und sehen ihr Leben in Deutschland nicht nur als vorübergehenden Aufenthalt an”, sagt Hildegard Kempf. Um nach Deutschland zu gelangen, haben sie in ihrer Heimat viele Mühen auf sich genommen. Der Weg führt über die Deutschen Botschaften in den Nachbarländern. Dorthin müssen sie es irgendwie schaffen. „Dann müssen sie, zum Beispiel im Libanon, einen Termin vereinbaren, was gar nicht so leicht ist, da die Botschaften überrannt werden”, sagt Hildegard Kempf. Von der Botschaft gibt es dann das spezielle Flüchtlingsvisum, mit dem sie nach Deutschland reisen können - vorausgesetzt, sie können das Geld für die Flugtickets aufbringen. Dafür kratzen Verwandte in Deutschland oft ihr letztes Geld zusammen, weiß Hildegard Kempf. Sie berichtet, wie viel Nerven es die Versmolder Syrer kostet, bis Flugtickets und Geld in den Händen der Verwandten landen, die im Nahen Osten ihrer Ausreise entgegenfiebern. Denn oft funktioniert die technische Kommunikation nicht. Wenn die Flüchtlinge dann endlich in Versmold ankommen, „sind sie oft in einem furchtbaren Zustand”, sagt Hildegard Kempf. Viele seien krank und müssten in ärztliche Behandlung. „In ihren Gesichtern”, sagt Hildegard Kempf, „sieht man ihnen deutlich die Erschöpfung an und auch, wie traumatisiert sie sind.”

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